: Es gibt sie, die „geheimen Verführer“!
■ Psychologen der Uni Bremen haben „Subliminals“, Kassetten mit versteckten Botschaften, untersucht / Tennis lernen im Bett
Draußen ist es fingerkalt, drinnen nehmen Sie Ihre Depression. Außerdem ist der Reis angebrannt, und den Brief vom Finanzamt machen Sie erst gar nicht auf. Endzeit. Da kommt eine gute Freundin des Weges und drängt Ihnen eine Kassette auf - ein „Subliminal“, das würde helfen. Und Sie werfen die Kassette ein und hören Mozarts Kleine Nachtmusik und ein murmelndes Bächlein im Hintergrung - und sonst nichts.
Sonst nichts? Die Freundin kennt sich aus mit Subliminals. Sie hat eins gegen Rauchen, eins für „die natürliche Schönheit“ und eins für ihren Sohn - gegen Bettnässen. Ein Subliminal, erklärt sie, trage eine versteckte Botschaft. In Ihrem Fall, auf dem Subliminal „Freude am Leben“, hießen die Botschaften „Ich werde geliebt ... das Leben ist ein Wunder ... ich habe die Kraft ...“ Diese positiven Sprüche würden praktisch in Musik „eingewickelt“, sie wären so leise, daß man sie nicht bewußt hören, aber doch irgendwie wahrnehmen könne. So entfalteten sie in Ihrem Inneren eine heilsame Wirkung.
„Edition Kraftpunkt“ heißt der Verlag in Augsburg, der die sogenannten „Whole Brain Subliminals“ über den Buchhandel vertreibt. Von „Schlank und fit“ bis „Positive Kindererziehung“ hat Kraftpunkt 60 Programme im Sortiment. Zwischen 30.000 und 100.000 Kassetten zum Stückpreis von 24.80 DM setzt allein diese Firma jährlich um. Die Technik der positiven Affirmation ist vom autogenen Training her bekannt. Neu an den Subliminals ist, daß man sich diesen erbaulichen Botschaften passiv aussetzen kann - bis hin zum „Erfogreich Tennis spielen“ lernen im Bett.
Die Technik, die Einflüsterung „unter der Schwelle“ (=subliminal) zu halten, hat ein Dr. Taylor (USA) entwickelt und sich patentieren lassen. Er ist unter anderem Doktor der Metaphysik. Eine Forschergruppe der Uni Bremen mit dem Psychologen Peter Kruse hat die Subliminal-Kassetten unter die Lupe genommen und kam jüngst zu ersten, vorläufigen Einschätzungen: Die auf dem Beipackzettel angegebenen Affirmationen („Ich lebe in innerem Frieden...“) sind tatsächlich auf den Kassetten versteckt. Sie lassen sich mit erheblichem Aufwand wieder hörbar machen. Kassetten mit eigenen Botschaften, die die Bremer Forscher des Instituts für Psychologie und Kognitionsforschung beim Hersteller in Auftrag gegeben hatten, wurden auf ihre Wirksamkeit überprüft. Und es zeigte sich, daß die subliminal versteckten Anweisungen bei einigen Versuchen so häufig befolgt wurden, daß grundsätzlich an der Wirksamkeit der „Subliminals“ nicht mehr zu zweifeln ist.
Das wissenschaftliche Terrain, das hier betreten wird, ist voller Tretminen. Die Diskussion, ob es unterschwellige Wahrnehmung überhaupt gibt, wird nämlich seit Jahrzehnten erbittert geführt. Großen Einfluß hatte ein Buch, das 1957 erschien und schnell zum Bestseller wurde: Vance Packards „The Hidden Persuaders - Die geheimen Verführer“. Es „entlarvte“ die schmutzigen Tricks einer frisch boomenden Branche: der Werbung. Packard wies nach, daß nicht bewußt wahrnehmbare Werbebotschaften in Radio und Fernsehn versteckt worden waren. Damals war auch Coca-Cola ins Gerede gekommen: Mit Einzelbildschaltungen „Drink Coca-Cola“ war versucht worden, den Konsum im Kino zu steigern. Angeblich mit erheblichem Erfolg.
Die Werbewirtschaft publizierte immer wieder Gegengutachten zu Packard, und der „Zentralausschuß der Werbewirtschaft“ in Bonn verlegte noch letztes Jahr eine Broschüre, in der alle Nachweise einer solchen Beeinflussung unwissenschaftlich genannt werden. „Über die Möglichkeiten einer unterschwelligen Werbung braucht erst dann wieder ernsthaft diskutiert zu werden, wenn der Tatbestand einer unterschwelligen Wahrnehmung zweifelsfrei erwiesen ist.“
Dieser Moment scheint gekommen. Die Bremer Forscher haben in ausführlichen Experimenten z.B. gezeigt, daß ein feststehender Lichtpunkt in einem abgedunkelten Raum deutlich häufiger als „hochsteigend“ gesehen wird, wenn eine Kassette mit dem subliminale Text „Luftballon“ gespielt wird. Umgekehrt funktioniert es bei der Suggestion „Fallschirm“.
Und nun dürfen Sie, liebe LeserInnen, über die Gelegenheiten sinnieren, in denen Sie von dieser perfiden Art der Manipulation betroffen sein können. Wie lange noch fühlen Sie sich vor dem Computer und der Glotze, auf Großveranstaltungen und Demonstrationen affirmationsfrei? Wie entstehen Lichterketten? Im Kaufhaus berieselt Sie vielleicht nicht nur Musik: Immerhin bieten die Hersteller der Beschallungsanlagen schon heute die Möglichkeit an, selbst subliminale Texte zu produzieren. „Ich stehle nicht“ wäre da noch die harmlose Variante.
Hinlänglich dokumentiert ist der „Fall Mitterand“: Beim letzte Präsidentschaftswahlkampf hatte der Sender „Antenne 2“ vor den Nachrichten kurze, nicht bewußt wahrnehmbare Einzelbilder eingeblendet. Ein aufmerksamer Journalist entdeckte sie beom langsamen Abspielen eines Videos - es war ein Foto Mitterands. Offiziell wurde dieser Vorfall als Scherz von Trickfilmern gehandelt. Immerhin empfahl daraufhin die französische Medienbehörde, „in Zukunft keine subliminalen Bilder mehr zu verwenden“. Begründung: „Deer Fernsehzuschauer hat ein Recht darauf, die Botschaft zu kennen, die ihm angeboten wird.“
Im Vergleich dazu sind die „Ich feiere mir Freude...„-Kassetten der guten Freundin liebenswerte Randerscheinungen. Oder? Immerhin mahnt ein Aufdruck auf dem Tonträger: „Hören Sie Subliminals bei längerer Anwendung nicht in Anwesenheit anderer Personen, außer, diese wünschen es.“ Es könnte passieren, daß es jemandem gegen seinen Willen besser geht. Das ist unbedingt zu vermeiden! Burkhard Straßmann
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