Ansichten von besonderer Qualität

■ betr.: "Engholm für starken Staat und großen Lauschangriff", taz vom 23.12.92

betr.: „Engholm für starken Staat und großen Lauschangriff“, taz vom 23.12.92

Langsam muß die SPD aufpassen, daß Engholm nicht zum Kanzlerkandidaten der CDU gekürt wird, denn wenn ein SPD-Politiker von einem CSU-Politiker wie Stoiber Beifall im Bereich der sogenannten Sicherheitspolitik bekommt, müssen dessen Ansichten von besonderer Qualität sein. [...]

Die neuen Polizeigesetze in den Bundesländern zeigen, die Bundesrepublik strebt einer neuen Dimension der Überwachung entgegen. Wo in der Vergangenheit konkrete Gefahren zum polizeilichen Einschreiten notwendig waren, genügen heute bloße Verdachtsmomente für eine „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ im sogenannten Vorfeld der Kriminalität für Observationen, V-Mann-Einsätze, Einsätze verdeckter Ermittler sowie das Abhören mittels Wanzen und Richtmikrofonen. Die Unschuldsvermutung gilt nicht mehr. Jede Bürgerin kann erfaßt, überprüft und durchsucht werden. Es genügt schon der Aufenthalt an Orten, die die Polizei für kriminalitätsrelevant hält.

Um die Überwachung nun auch strafprozessual zu komplettieren, befürwortet nun auch Engholm wie von Stoiber vorausgesagt, den Einsatz von nachrichtendienstlichen Abhörmethoden. Was als Sicherheit für den Bürger verkauft wird, entpuppt sicht als Unsicherheit für die Freiheitsrechte.

[...] So ermöglicht beispielsweise der § 129 StGB (kriminelle Vereinigung) selbst bei Diebstählen die Telefonüberwachung. Auch wenn sich abzeichnet, daß der Vorwurf der kriminellen Vereinigung vor Gericht nicht haltbar sein wird, dient er bis zum Abschluß der Maßnahmen als Rechtsgrundlage. Zwar dürfen die gewonnenen Erkenntnisse in einem solchen Fall nicht vor Gericht verwertet werden, können aber trotzdem auf anderem Wege in das Verfahren einfließen, ohne daß ersichtlich ist, daß sie aus Erkenntnissen der Telefonüberwachung herrühren.

Beim großen Lauschangriff soll ein Richter über die Verwertung der gewonnenen Erkenntisse entscheiden. Darüber kann jeder Polizeibeamte nur milde lächeln, dem der Kollege Anonymus bekannt ist.

Es erscheint völlig abwegig, daß durch das Abhören von Wohnungen mit nachrichtendienstlichen Mitteln in die oberen Kreise organisierter Kriminalität eingedrungen werden kann. Diese Gruppierungen haben das Geld und die Möglichkeit, sich abzuschirmen wie das BKA. Wiederum zeigt die Telefonüberwachung, daß sich viele und gerade hochkarätige Straftäter sehr schnell auf die rechtlichen Möglichkeiten der Polizei einstellen können. Konspiratives Verhalten, die Nutzung anderer Kommunikationstechniken sind fast die Regel geworden. Ebenso kann auf den möglichen Einsatz von nachrichtendienstlichen Abhörtechniken, verdeckten Ermittlern usw. reagiert werden. Letztendlich wird dieser Einsatz nicht der sogenannten organisierten Kriminalität schaden, sondern nur den freiheitlich denkenden Bürgerinnen. Während 1980 noch 766 richterlich genehmigte Telefonüberwachungen durchgeführt wurden, waren es 1991 schon 4.102 TÜs, und die Kriminalität stieg trotzdem.

[...] Gehen die Verantwortlichen dazu über, Kriminalität aufzuklären, statt zu bekämpfen, können sie keinen Kampf mehr verlieren und werden die Problematik nicht mehr männlich verbissen angehen, sondern entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen behandeln. [...] Jürgen Korell, Vorstandsmitglied der Kritischen PolizistInnen, Wiesbaden