: Mit munter krächzender Stimme
Schreibt überall, wo sein Laptop hinpaßt: Der mexikanische Krimischreiber Paco Ignacio Taibo ■ Von Anne Huffschmid
Kennengelernt hatte ich ihn auf dem 9. Internationalen Krimikongreß im mexikanischen Kolonialstädtchen Puebla. Der erste Eindruck: ein Besessener. Denn Paco Ignacio Taibo schreibt nicht nur wie ein Wilder – an die 40 Bücher in den letzten 18 Jahren –, sondern forscht, streitet, fördert und organisiert. Vor allem letzteres: die Versammlung von 35 Krimimachern – und ein paar Macherinnen – aus aller Welt ist in erster Linie ihm zu verdanken. Und auch die Initiatorin dieses Kongresses, die Internationale Vereinigung der Krimischriftsteller (Asociación Internacional de Escritores Policiacas/AIEP), war 1985 von Taibo – zusammen mit zwei kubanischen Kollegen – gegründet worden. Kontakt herstellen zwischen Krimischreibern und -herausgebern, quer zu den nationalen Barrieren, ist das wichtigste Ziel des unabhängigen Netzwerks, in dem inzwischen über 2.000 Autoren aus 21 Ländern vertreten sind. Über 50 internationale Treffen sind bislang veranstaltet worden, auf denen diskutiert wurde über die verschiedensten Aspekte des wirklichen und des fiktiven Verbrechens: über die politische Dimension des Krimischreibens, das zwiespältige Verhältnis zu Literaturkritik und Journalismus, aber auch über Themen wie Autorenrechte und Zensur. War es anfangs noch das Anliegen, die US-amerikanischen Vorherrschaft im Genre zu brechen, so ist heute „friedliche Koexistenz“ zwischen Latinos und Gringos angesagt: „Auch wenn die uns immer noch nicht so viel lesen wie wir sie.“
Wochen später besuche ich Taibo in seiner gemütlichen Wohnung in Mexiko-Stadt. Um elf Uhr morgens aus dem Bett geworfen, räkelt Taibo sich in einer Sonnenecke auf dem weichen Sofa und erzählt mit munterer Krächzstimme, daß er gerade vier neue Krimis in der Mache habe. Einen Roman habe er am Vortag beim Verlag abgegeben und gestern erst sei ihm die Idee zu einem weiteren Roman gekommen. Zunächst aber müsse er auf der Bank Krach schlagen; denen ist sein dänischer Scheck zu exotisch. Am gleichen Tag will Taibo sich als Journalist bei einem Karibikfestival akkreditieren, am frühen Nachmittag wird für die Familie gekocht. Falls er gegen Abend eine freie Minute finden sollte: schreiben, bis tief in die Nacht. Ein Besessener. „Ich kann praktisch überall schreiben: im Autobus, in Hoteltoiletten, überall, wo ich meinen Laptop aufklappen kann. Ich brauche nicht das vertraute Dach über dem Kopf oder Stille. Ich habe das Schreiben im Showressort einer Redaktion gelernt, wo sich die Bartänzerinnen auf meinen Tisch stellten, um für Fotos zu posieren, während ich eine Zirkuskritik zu schreiben hatte.“
Seit vier Jahren ist Taibo in der – nicht nur für mexikanische Verhältnisse – selten glücklichen Lage, vom Schreiben leben zu können, ohne sich noch als Uni-Dozent oder Journalist verdingen zu müssen. Geboren ist er 1949 im spanischen Gijón, wo heute alljährlich das internationale Festival der „literatura negra“ (schwarze Literatur) stattfindet – natürlich von Taibo organisiert. Nach Mexiko übergesiedelt, beginnt er, Literatur, Soziologie und Geschichte zu studieren, macht aber keine Abschlüsse. 1976 veröffentlcht er den ersten Roman: „Dias de combate“ (Tage des Kampfes). Einer der bis heute meistverkauften Kriminalromane aus der Feder Taibos ist „Sombra de la sombra“, in dem die mexikanische Revolution als Kulisse für einen verschlungenen Krimiplot herhalten muß. Die Thrillerproduktion hält sich die Waage mit historischen Essays und Romanen, darunter die Geschichte der „Bolschewiki“, für die er schon mehrere nationale und internationale Literaturpreise bekommen hat.
Zur letzten Frankfurter Buchmesse (Schwerpunkt: Mexiko) ist Lateinamerikas populärster Krimischriftsteller nicht eingeladen worden. Doch das muß Taibo kaum grämen; zwei Tage nach der Messe hat er drei weitere Bücher bei deutschen Verlagen untergebracht.
Taibo hat sich durch den Erfolg nicht korrumpieren lassen, er ist unbequem geblieben. Was sind seine Erfahrungen mit Zensur in Mexiko? Schließlich hat er als undogmatischer Linker oft den staatlich geduldeten Meinungen oppositioneller „konstruktiver“ Kritik widersprochen. In Presse und Radio, sagt er, seien eher subtile Eingriffe an der Tagesordnung, im Fernsehen wird es dann „richtig tragisch“. Fünf Drehbücher für Krimiserien hat er bislang geschrieben, alle sind ordentlich bezahlt, keines ist je realisiert worden. Und auch das Kino ist immer noch nicht frei von staatlicher Kontrolle. „Als mein Roman „Cosa facil“ (Eine leichte Sache) für das Kino produziert wurde und damit enden sollte, daß Zapata in den neunziger Jahren über eine Hauptstraße in Mexiko-Stadt vagabundiert, gab es eine ,Empfehlung‘ von oben, die besagte, daß im Publikum nicht die Hoffnung stimuliert werden sollte, daß tote Helden am Leben seien.“
Wie baut er die Brücke zwischen historischer Wirklichkeit und Kriminalroman? Taibo zuckt mit den Schultern. „Ich versuche einfach, mich so schnell vorwärtszubewegen, daß der, der mir mit der Etikette hinterherrennt, gar nicht mehr mitkommt. Man hat mir die Etikette zugewiesen, ,Gründer des neuen mexikanischen Krimis‘ zu sein, und ich habe das akzeptiert, weil es einen richtigen Krieg um dieses Genre gab. Aber als Schriftsteller spüre ich die Notwendigkeit, den Fallen des Genres zu entgehen. Der Krimi interessiert mich eigentlich nur, weil ich die Regeln brechen möchte. Und für den historischen Roman gilt das gleiche.“
Allgemein unterscheidet sich der lateinamerikanische vom US- und europäischen Krimi dadurch, daß er einem „stärkeren und direkteren Druck sozialer und politischer Themen“ ausgesetzt ist; Lateinamerika ist gewissermaßen die Geburtsstätte des sogenannten Polit-Thrillers. Die gesellschaftlichen Verhältnisse drängen sich stärker auf, und damit auch das politische Geschehen: Phänomene wie Korruption, Machtmißbrauch oder die maroden Gefängnisse, der desaströse Polizeiapparat. Der introspektiv angelegte Thriller, in dem der Plot wie bei Patricia Highsmith in die Abgründe menschlicher Psychen hineinverlegt wird, ist dagegen – im Unterschied zu den USA – weniger beliebt. Aber auch formal gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. „Der neue mexikanische Krimi sucht einen Mittelweg zwischen realistischer und phantastischer Literatur. Er hat eine besondere Art Realismus, mit bestimmten fantastischen Elementen, hervorgebracht – ein Gleichgewicht, das diese Literatur davor bewahrt, eine allzu realitätsnahe und journalistische Instantliteratur zu werden.“
Der Vater des legendären Latino-Detektivs mit dem wohlklingenden Namen Héctor Belascoarán Shaynehat wehrt sich gegen die Behauptung, der Private Eye als klassische Genrefigur habe allgemein ausgedient. „In den USA würde ich auch keinen Detektivkrimi machen“, räumt er ein. „Die Gesellschaften aber, die in der Wirklichkeit keine Privatdetektive kennen, haben das Recht, diese literarisch zu schaffen, weil auf diese Weise eine Art magischer Raum entsteht. Dies ergibt eine sehr hübsche Dimension von Unwirklichkeit, die dazu führt, daß die Figur sich selber fragt: Was mache ich hier eigentlich? Welche Rolle spiele ich? Deshalb mag ich die Figur des Detektivs, weil sie immer konfrontiert ist mit ihrer eigenen Inexistenz und Absurdität.“
In Puebla hatte es eine hitzige Debatte um die „politische Aufgabe“ der schwarzen Literatur Lateinamerikas gegeben. Besonders Autoren wie der Argentinier Rolo Diaz oder der Chile Ramón Diaz Eterovio, in deren Heimat die zivile Gesellschaft noch mit dem Erbe von Militärdiktaturen zu kämpfen hat, plädierten für den Krimi vor allem als Medium „sozialer Anklage der Repression“. Dagegen warnt Taibo, auch im Kreis von prinzipiell Gleichgesinnten immer gern zum Widerspruch bereit, vor „Message-Literatur“. Zwar sei die Literatur, und zwar jedweder Gattung, „zwangsläufig durch und durch mit Politik getränkt“, da der „public enemy“ Nummer eins in Mexiko ja bekanntlich der Polizeiapparat sei, der Schreiber aber müsse sich in jedem Fall „den Geschichten und nicht der politischen Botschaft verpflichtet fühlen“. Schon seit Jahrzehnten ist ein Satz aus dem Zen- Buddhismus Taibos literarische Devise: „Die Wüste ist in einem Sandkorn enthalten.“
Doch auch der innere Abstand spielt eine Rolle: „Ich kann nicht mit einem unmittelbaren Fakt arbeiten und ihn umgehend zu Literatur machen. Es hat ein gewaltiges Gewicht, das unmittelbar Reale, und ich muß es filtern, durch literarisches Arbeiten. Und dazu brauche ich auch Leichtigkeit und Geschmeidigkeit. Wenn du beim Literaturmachen nicht den nötigen Abstand hast, dann wird sie zum Pamphlet und verfault, stirbt dir unter den Händen weg.“
Wie Taibo konkret auf die Zustände in Mexiko reagiert, zeigt sich im „Fall Molinet“, der seit mehr als acht Monaten die Presse des Landes beschäftigt. Er ist Thema von Taibos jüngstem Buch. Im März dieses Jahres war der 17jährige Pablo Molinet angeklagt worden, die Hausangestellte seiner Familie bestialisch ermordet zu haben. Gestützt wird die Anklage vor allem auf den „krankhaften Charakter“ des Jugendlichen, der gelegentlich Marihuana rauche, die Wände seines Zimmers bemalt habe und zudem Kriminalromane (unter anderem von Paco Taibo) lese. Da die kriminalistischen Untersuchungen eine Täterschaft des 17jährigen ausschließen, der Junge jedoch nach wie vor „in einem der übelsten Gefängnisse“ des Landes einsitzt, haben eine Reihe von Schriftstellern und Journalisten eine Solidaritätskampagne mit dem Ziel seiner Freilassung gestartet.
Taibos Anteil an dieser Kampagne ist „Der Fall Molinet“: laut Taibo ein „schnellgeschriebenes, heißes Buch, das im Reportagestil die Geschichte dieses abstrusen Justizskandals erzählt. „Alle Welt hat zu mir gesagt: Da hast du doch den Stoff für einen neuen Roman. Und ich sage: Nein, aus diesem Material kann ich keinen Roman machen. Ich fühle die Stadt nicht richtig, in der das alles passiert ist. Ich kann mich nicht in die Seele eines 17jährigen hineinversetzen, den ich nicht kenne.“ In diesem Fall hat Taibo sich für „schnörkellosen, direkten Journalismus“ entschieden. In zehn Jahren, meint er, gibt das vielleicht mal einen Romanplot.
Von Ignacio Taibo sind bisher auf deutsch erschienen:
– Comeback für einen Toten, Rowohlt
– Das bizarre Leben, Rowohlt
– Die Zeit der Mörder, Goldmann
– Das nimmt kein gutes Ende, Goldmann
– Eine leichte Sache, Goldmann
– Ein paar Wolken, Rotbuch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen