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"Kindische Tat" falscher Polizisten

■ Drei Ostberliner, die mit Polizeiausweis, Handschellen und Sirene eine Vietnamesin beraubten, wurden zu drei und zwei Jahren verurteilt / Staatsanwältin hatte weniger gefordert / Die Tragödie eines...

Berlin. Eine „kindische Tat“ sei das gewesen, dieser falsche Polizeieinsatz – da waren sich Gericht, Staatsanwältin und VerteidigerInnen ziemlich einig. Im Oktober 1992 hatten sich Silvio Sch. (26), Gunnar K. (19) und Mike W. (18) mit Handschellen, Funkgeräten und nachgemachtem Dienstausweis als Polizisten ausgestattet. Mit einem Lada hielten sie vor einer Marzahner Kaufhalle, zerrten eine Vietnamesin in das Auto und nahmen ihr Zigaretten und Geld im Wert von etwa 80 Mark ab – zur Finanzierung einer Geburtstagsparty. Die Party wurde teuer: Gestern verurteilte das Gericht Silvio Sch. nach dem Erwachsenenstrafrecht zu drei Jahren Gefängnis und seine beiden heranwachsenden Mittäter nach dem Jugendstrafrecht zu zwei Jahren auf Bewährung. Weil sie eine Waffe sprich Handschellen eingesetzt hätten, so der Vorsitzende Richter, sei die „kindische Tat“ rechtlich gesehen eben doch ein gemeinschaftlicher schwerer Raub in einem minderschweren Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gewesen.

Die Bestrafung nach Jugendrecht, führte der Richter aus, hätten Gunnar K. und Mike W. dem Umstand zu verdanken, daß sie in ihrer Entwicklung zurückgeblieben seien. Zu ihren Lasten habe jedoch gesprochen, daß sie sich „als schwache Glieder der Gesellschaft an noch schwächeren schadlos halten wollten“. Der vierte Mittäter Michael Sch. (18), der als Zeuge ebenso geständig gewesen war wie seine Kumpels, hat seinen Prozeß noch zu erwarten.

Silvio Sch., stoppelhaarig, schnauzbärtig, fast ebenso breit wie hoch, setzt mit der neuen Haftstrafe seine fast ununterbrochene Knastkarriere fort. Sein Leben in Stichworten: in Meißen bei der geschiedenen Mutter aufgewachsen, aus der Schule geflogen, eine Lehre als Maurer abgebrochen. Drei Kinder aus einer gescheiterten Ehe, zwei uneheliche. Seit 1985 immer wieder inhaftiert, unter anderem wegen „Diebstahl sozialistischen Eigentums“ in Form von Schnaps, Scheckbetrug, Erpressung sowie Fahren ohne Führerschein mit anschließender wüster Verfolgungsjagd über Berliner Straßen und Brandenburger Autobahnen. Die Show als falscher Polizist scheint aber nicht ganz zufällig gewesen zu sein, denn Silvio Sch. hatte sich zwischendurch der Polizei als Hinweisgeber anzudienen versucht und ihr auch über den Mitangeklagten Gunnar K. „etwas gesteckt“. Die Polizei aber hatte sein „Angebot“, unter diesem Deckmantel Straftaten zu begehen, dankend abgelehnt.

Anders der noch nicht vorbestrafte 18jährige Mike W. Nicht so unbewegt, sondern zerknirscht und mit hängendem Kopf nahm der schmächtig und unreif wirkende Ostberliner das Urteil entgegen. Auch er wurde in seinem Elternhaus lieblos behandelt, klaute den Eltern schon als Kind Geld, bestand den Hauptschulabschluß nicht, brach eine Lehre ab, wurde von zu Hause rausgeschmissen. Schließlich nahm ihn Silvio Sch. in seiner Wohnung auf. Mit den bekannten Folgen: Der Plan, die „Vietschis abzuziehen“, wurde dort besprochen.

Da sollte man meinen, der 19jährige Gunnar K. habe mit seinen liebevollen Pflegeeltern am meisten Glück gehabt. Aber die beiden Akademiker hatten ein Zwillingspaar adoptiert, und Gunnar war von den zwei Brüdern der Dumme. Sprichwörtlich: Er mußte in eine Sonderschule für verhaltensgestörte Kinder und blieb stets geistig und körperlich hinter seinem wohlgeratenen Zwillingsbruder zurück. Womöglich wegen einer „frühkindlichen Hirnschädigung“, vermutete der psychiatrische Sachverständige. Warum er denn auf die schiefe Bahn geraten sei, in seinem Bruder habe er doch ein „Vorbild“ gehabt, fragte der unsensible Vorsitzende. Freundlich, manchmal ein wenig überlegen lächelnd hörte das hinten auf der Zuschauerbank sitzende „Vorbild“ zu. Der Richter, der keine Antwort erhielt, hatte offensichtlich nicht daran gedacht, daß diese hätte lauten können: „Genau das war mein Problem.“ Ute Scheub

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