Wand und Boden
: Dem Theorem hilft die handwerkliche Praxis nach

■ Kunst in Berlin jetzt: Aspekte Litauischer Fotografie, Sebastian Kusenberg, Helga Franz/ Angela von Moos: LichtVokale, Chris Newman/ Gottfried Tollmann

Daß die Fernsehkameras keines der politischen Ereignisse der letzten drei Jahre hatten festhalten können, muß nicht allein an den gesendeten Bildern gelegen haben. Vielleicht dient das Sendebewußtsein nicht der Wahrheitsfindung.

Man wollte nur die Polit-Ikonen kippen, mittlerweile ist dem Bildersturm auch der Alltag im Osten zum Opfer gefallen, aus dessen Erinnerung sich das ehemalige Leben zusammensetzen ließe: Hat es eigentlich Menschen jenseits von Mauer und eisernem Vorhang gegeben? Auf solche Fragen halten Fotos eine Antwort parat, von denen die ifa-Galerie eine Auswahl präsentiert.

Aspekte Litauischer Fotografie setzt den „Subjekten“ der Geschichte kein weiteres resümierend-objektives Denkmal, sondern versammelt zwischen „atmosphärisch“ und „dramatisch“ inszenierter Dokumentationsfotografie Einblicke in die Welt von Bauern, Demokratiebewegten und Soldaten im Wandel der letzten zweieinhalb Jahrzehnte. Beim Gebet in der Putschnacht vor dem Parlamentsgebäude in Vilnius hat Antanas Sutkus die angespannten Gesichter der Demonstranten so unbefangen aufgenommen, als seien es Kinder beim Spielen. Und Kinder selbst sehen bei ihm nicht anders aus als entwurzelte Erwachsene. In der kargen Verdichtung der Motive zeichnet sich ein Faden der Geschichte zugleich marginal und zeitlos ab. Zwischen den apokalytischen Gulag-Fotografien Juozas Kazlauskas' und der Charakterstudie des schläfrig ans Feldbett gelehnten Reservisten von Romas Juškelis verwächst die Erinnerung dann wirklich zum politischen Bild der Geschichte.

Bis zum 7.2., Friedrichstraße 103, Di.–Fr. 11–13.30 u. 14–18 Uhr, Sa./So. 11–13.30 u. 14–17 Uhr.

Tief in der eigenen Geschichte steckt die Fotografie bei Sebastian Kusenberg, der sich um so etwas wie eine radikale Formalästhetik des von ihm erwählten Mediums bemüht. Das klingt ein wenig schulmeisterlich, ist in der Galerie Weißer Elefant allerdings äußerst beeindruckend in Szene gesetzt worden. Unter einem Stilleben aus Büchern und Teetassen, die Kusenberg sorgsam auf einem Sekretär zur Fotosession drapiert hat, steht ein auf den ersten Blick reichlich um die Ecke gedachter Satz: „Ein Zebra ist ein hellfarbiges Tier mit schwarzen Streifen und nicht ein dunkles Tier mit hellen Streifen (die dunklen Teile verblassen) - Newsweek 1957“. Und schon im nächsten Augenblick entpuppt sich das pedantische Arrangement als gewagtes Vexierspiel mit Negativ- und Positiventwicklung, die so seit Man Ray sicherlich nicht mehr zum Einsatz gekommen sind. Das Abbild wird im Spiegelstadium aufgelöst und verbleibt im ästhetisch Unwägbarem, allein als Modell technischer Machbarkeit. Dem Plädoyer für ein offenes Verhältnis zum Bild als Simulationsraum sind Selbstportraits gegenübergestellt, die zwischen Hausmanns montiertem Dada-Kopf und Skinhead zu pendeln scheinen. Im Verbund mit Bildern von jüdischen Friedhöfen, auf denen das Laub des Herbstes sich so unnachgiebig über die Gräber ausbreitet wie bei Kafka das der Geschichte, wird mit der Metaphernreihe die momentane Lage der Nation zwar angeschnitten, aber ungelöst dem Betrachter überlassen. Auch die Identifikation mit den Tätern wird nicht mehr anders als in der Kritik in Szene gesetzt. Im zweiten Galerieraum weicht Kusenberg diesem Druck, der am unwiderrufbaren Einzelbild haftet, aus, indem er gegen den fruchtbaren Augenblick — Kairos — Serien alltäglicher Momente setzt, in denen sich der Blick allein zwischen den Bildern ereignet: er schweift, doch deutlich in Sekundenbruchteilen umrissen. Die Zeit steht dabei fast still, während die Orte fließen: auch Kubismus liegt in der Natur der Photographie begründet.

Fotoinstallation, bis 30.1., Almstadtstraße 11, Di.–Fr. 11–19 Uhr, Sa. 15–18 Uhr.

Noch primärere Vorgänge der Physik erforschen Helga Franz in ihrer Licht- und Angela von Moos mit einer akustischen Vokale-Installation am Frankfurter Tor 1. Durch ein kompliziertes System aus Prismen, Spiegeln und Linsen wird von mehreren Diaprojektoren aus Licht an die Galeriewände geworfen, das je nach dem Stand des gläsernen Fokus oder Widerparts gelenkt, geteilt oder in Spektralfarben gefächert erscheint. Der Raumarchitektur gesellt sich auf diesem Wege eine der Zeit zur Seite, die nach dem Wunsch Franz' in der Bewegung im Raum aufgeht: „In jedem Moment verändert und bewegt sich Licht. Es gibt keine Wiederholung. Bewegung und Zeit sind eins.“ Dem poetischen Theorem der Künstlerin hilft die handwerkliche Praxis ein wenig nach. Zum einen bedarf das komplexe Arrangement der von Motoren angetriebenen Spiegelflächen eines mehr mimetischen Vermögens an die Erdbewegung denn einer Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit der Lichtquelle; zum anderen ist das Licht, das Franz per Diaprojektor entsendet, selbst schon in einer künstlichen Bewegung von 50-60 Hz gefangen, die mit dem Wechselstrom aus der Steckdose fließt. Faszinierend bleibt jedoch das Wechselspiel, daß im Licht den Schatten an der Wand erkennt, weniger Trugbild denn Paradigma eines wahren clair/obscur. Bei Angela von Moos entspricht der Bewegung des Lichts die Entwicklung von Sprache als tonalem Geflecht. In einer Art minimierter Genesis dringen monoton vorgetragene Vokale aus den vier Ecken der Galerie. Langsam entwickelt sich eine Struktur, überlappen sich einzelne Laute und fügen sich so diffus wie das Tageslicht zum Wunder einer Sprache zusammen. Das Experiment dauert 45 Minuten, in denen man die schmerzlich die Konsonanten zu missen beginnt, die dem ätherischen Singsang ein wenig von dem Leben einhauchen würden, daß von draußen in gefluchtem Polnisch hereinweht.

Bis 5.2., Mo.–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 14–18 Uhr.

Die letzten echten Maler blinzeln aus der Galerie Johannes Zielke ins Dunkel des Scheunenviertels. Als Combined Efforts bezeichnen Chris Newman&Gottfried Tollmann ein Reihe großformatiger Leinwände, auf denen sich zumindest Spuren ihrer Zusammenkunft wiederfinden.

Die Aktion war ganz einfach: Newman trägt ungestüm mit Spachtel oder Mittelfinger Farbe in dünnen Streifen aufs Tableau und Tollmann läßt sich dazu die passenden Sätze einfallen, etwa „looks like a Fautrier from the 50's“, und der kunstgeschichtsbewußte Besucher schaut nicht weniger baff auf die Kollaboration von Akademie und schroff bruitistischem Revival.

Die beiden augenzwinkernd scharlatanierenden Schmuddelzitatkünstler gönnen sich in der Ekstase ihrer Bildwelt keine Atempause, die Arbeit „second night“ ziert ein von der Anstrengung der gepinselten Spurensuche im Hamsterrad der Kunst-Historie geknickter Penis. Malerei als Trauerarbeit am Signifikanten. Vielleicht ward ihnen diese jähe Erschöpfung Grundlage für den späteren Abschied vom wilden Kunstalltag in Berlin, von dem Tollmann schreibt: „I am leaving you Chris, I'm going to Los Angeles. They have no values in Los Angeles - they have only valuables." Die feine Linie zwischen hehren Werten und schnöden Wertsachen führt im Angesicht der wild gemalten Vermischungen zu komischen Effekten. Dann setzt sich die Welt des Malers halb aus TV-Geräten und halb aus Toastern zusammen. Der Mensch lebt ja nicht von Wünschen allein. Auch der Künstler nicht.

Bis 19.1., Gipsstraße 7, Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 15–19 Uhr.

Harald Fricke