644 Millionen Mark verschwiegen

■ Grüne: Bausenator Nagel hat das Parlament bewußt getäuscht / In Haushaltsberatungen angeblich nicht über Verpflichtungen seiner Behörde in Millionenhöhe aufgeklärt / Untersuchungskommission gefordert

Berlin. Während der Beratungen für den Haushalt 1993 hat Bausenator Wolfgang Nagel dem Parlament Verpflichtungen in Höhe von 644 Millionen Mark verschwiegen. Diese Summe mußte die Wohnungsbaukreditanstalt (heute Investitionsbank) noch für die Jahre 1991 und 1992 an Subventionen für den sozialen Wohnungsbau erhalten. Das landeseigene Kreditinstitut teilte Nagel diesen Bedarf mit Schreiben vom 3. September 1992 mit. Die Grünen/Bündnis90 werfen ihm nun vor, geschwiegen zu haben, anstatt den Hauptausschuß für die laufenden Haushaltsberatungen von der Forderung zu unterrichten. Die baupolitische Sprecherin der Fraktion, Elisabeth Ziemer, wirft ihm „bewußte Täuschung des Parlaments“ vor. Erst jetzt käme Nagel „mit seiner ungeheuerlichen Nachforderung“.

Nach Auskunft des Referenten in der Bauverwaltung Wolfgang Krumm handelt es sich bei der Summe um Anschlußförderungen für Wohnungsbauprogramme, die nicht in der erforderlichen Höhe in den Haushalten der letzten Jahre enthalten waren. Sie seien mittlerweile hausintern umgebucht und ausgeglichen worden. Diese Anschlußförderung, so ist einem Schreiben Nagels an den Hauptausschuß zu entnehmen, wird in seinem Haus auf Basis von Zahlenangaben der WBK aus dem Jahre 1987 fortgeschrieben. Bereits im Februar 1992, so räumt er nun ein, wurden „erhebliche Unstimmigkeiten gegenüber den Bewilligungsständen der Investitionsbank Berlin festgestellt“. Eine erneute Prüfung brachte den Differenzbetrag von 644 Millionen Mark zutage. Dem Schreiben der WBK vom 3. September 1992 ist zu entnehmen, daß die Berechnungsmitteldefizite nicht nur auf Unterschiede in den Förderbeträgen beruhen, sondern auch darauf, daß anscheinend seit 1987 einige Objekte in den Förderlisten fehlten. Ziemer wundert sich angesichts solcher Geschäftsgebaren nicht mehr, „daß das Land Berlin so bankrott ist“. Sie fordert nun eine Überprüfung des Vorgangs durch den Landesrechnungshof.

Obgleich ihm die Summe seit einem halben Jahr bekannt ist, wandte sich Nagel erst in dieser Woche an den Hauptausschuß. Er will die 644 Millionen Mark in Raten in die Hauhalte des laufenden und der kommenden Jahre einbauen. 43 Millionen Mark für den sozialen Wohnungsbau sollen nach seiner Vorstellung in diesem Jahr an anderer Stelle eingespart werden, die übrigen 601 Millionen Mark soll das Parlament als überplanmäßige Ausgabe für die kommenden Jahre genehmigen. Die Grünen/Bündnis90 fordern nun die Einsetzung einer Untersuchungskommission. Dieter Rulff