: Brand reißt Dahlem aus der Idylle
■ Im früheren Haus des Bischofs Scharf lebte libanesische Familie/ Angst vor neuem Mölln brachte Nachbarn zusammen
Zehlendorf. Ein Großbrand hat Mittwoch abend die Villa des verstorbenen Bischofs Kurt Scharf, Am Hirschsprung 35 in Dahlem, zerstört. Das der Evangelischen Landeskirche gehörende zweistöckige Haus brannte völlig aus. Seither ist das libanesische Ehepaar Fatma und Mohamed Mustafa mit ihren zehn Kindern obdachlos – das jüngste der Kinder ist gerade zehn Wochen alt. Nach Ermittlungen der Kriminalpolizei und der Feuerwehr ist eine Fremdursache auszuschließen. Der Brand entstand vermutlich durch einen implodierenden Fernseher.
Noch 24 Stunden nach dem Brand hängt der Geruch in der Luft. Die Fenster sind vernagelt, Glassplitter liegen umher. Nichts ist übriggeblieben, die Familie besitzt nur noch das, was sie am Leibe trägt. Fatma Mustafa steht noch unter Schock, wie es jetzt weitergehen soll, weiß keiner. Und dabei hat die Familie noch Glück gehabt. Wäre der 14jährige Wisam nicht gewesen, dann wäre die Fünfjährige im Oberstock des Hauses verbrannt. Denn Wisam kletterte – während die Flammen im Erdgeschoß schon aus den Fenstern schlugen – über einen Baum auf den Balkon und rettete die kleine Schwester.
Gestern nachmittag saß die große Familie bei der Nachbarin Ellen Wagner, Vorsitzende des Gemeindekirchenrats in Dahlem. Sie hat Essen für alle gekocht, und ununterbrochen bimmelte es an der Tür, Nachbarn erscheinen und bringen Spielsachen. Sogar provisorische Quartiere werden angeboten. Der Brand hat die Dahlemer Villenbewohner zusammenrücken lassen. Im ersten Schock glaubten viele, daß sich in der Idylle ein Mölln wiederholt. Jetzt überwiegt das Mitleid.
Nach den Erzählungen der Kinder und Mutter Fatma begann das Drama kurz vor 17 Uhr. Die drei jüngsten Kinder saßen vor dem Fernseher, der plötzlich „geknallt“ haben soll, herunterfiel und Feuer fing. Sekunden später griffen die Flammen auf die synthetischen Gardinen über, dann brannten der Teppich und die Wandverkleidung. Mutter Fatma hörte die Kinder schreien, stürzte mit dem Säugling aus der Küche ins Wohnzimmer, versuchte zu löschen und zerschlug die Fensterscheiben. „Ich warf zwei Kinder aus dem Fenster“, sagte sie, „schrie die älteren aus ihren Zimmern, und als sie kamen, rannten wir auf die Straße.“ Nur die fünfjährige Tochter eben nicht. Statt nach draußen wie die anderen, rannte sie in das Obergeschoß und verrammelte aus Angst vor den Flammen die Türen von innen. Sie wurde von Wisam gerettet. Gleichzeitig explodierten in der Küche die Gasflaschen, das ganze Erdgeschoß war ein Flammenmeer.
Unstimmigkeiten gibt es über den Einsatz der Feuerwehr. Mehrere Nachbarn benachrichtigten sie gleichzeitig, der erste Anruf erreichte die Feuerwehr um 17.02 Uhr. Sie soll sich allerdings verfahren haben, und weil die kleine Straße Am Hirschsprung durch einen Möbelwagen noch zusätzlich blockiert war, erst 15 Minuten nach der Brandmeldung eingetroffen sein. Da brannte nach Angaben der Nachbarn das Haus schon lichterloh. Die Löscharbeiten endeten erst um 22.30 Uhr.
Unstimmigkeiten gibt es auch über die erste und spontanste Nachbarschaftshilfe. Die Kinder von Fatma Mustafa erzählen, daß sie, als sie barfuß aus dem brennenden Haus stürzten, sofort beim nächstwohnenden Nachbarn klingelten. Der habe sie aber nicht ins Haus gelassen, sondern sie an die Vorsitzende des Gemeindekirchenrats, eine Haustür weiter, verwiesen. Dieser Sachverhalt wird von dem angeblichen Herzlosen aber bestritten.
Das Haus, in dem vor den Mustafas, Flüchtlinge aus Hoyerswerda lebten, war vom Wohnungsprojekt für Flüchtlingsfamilien des Diakonischen Werkes an die Libanesen vermietet. Die Nachbarn wollen sich nun dafür einsetzen, daß die gut integrierte Familie weiter in Zehlendorf leben darf. Angeblich stehen ehemals alliierte Wohnungen leer. Anita Kugler
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