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Spieglein, Spieglein in der Hand...

...wer macht das beste Nachrichtenmagazin im Land? Am Montag erscheint das neue Blatt „Focus“. Burda holt zum Gegenspiegelschlag aus. Ein Hauen und Stechen um Anzeigenkunden  ■ Aus München Michaela Schießl

Was hätte das übermorgen für ein schöner Montag werden können. Ein Montag, an den im Land längst keiner mehr geglaubt hatte. Einer, wo das Aufstehen erstmals seit Jahren wieder so richtig Spaß gemacht hätte, wo wir gesungen hätten unter der Dusche (aus hämischer Vorfreude) und ausnahmsweise nicht gemosert wegen der offenen Zahnpastatube. Ein weißes Hemd hätten wir angezogen, für den feierlichen Gang zum Kiosk, und vor dem Spiegel den triumphalen Gesichtsausdruck geübt, der die Order begleiten soll: „Guten Morgen, geben sie mir die Zeitung und den Focus bitte.“ Als Montag der Genugtuung für alle Augsteinsche Überheblichkeit wäre dieser 18.Januar 1993 in die Geschichte der deutschen Nachkriegspublizistik eingegangen, als der Tag, an dem das selbstgefällige Machtmonopol des Spiegel nach über vierzig Jahren Meinungsherrschaft erschüttert wurde.

Doch die Stimmung in der Münchener Arabellastraße dämpft unsere Schaden-Vorfreude. Statt sektgeschwängerter Aufregung herrscht an dem Ort, wo nach über 50 unernsten der erste ernstzunehmende Versuch gestartet wird, ein Nachrichtenmagazin neben dem Spiegel zu etablieren, trockene Nüchternheit. Sogar der Pförtner unter der obligatorischen überdimensionierten Uhr wirkt bereits gelangweilt. Keine Hektik ist zu spüren, keine Nervenzusammenbrüche, nirgendwo näßt ein Schweißfleck unter den Achseln, nur der gewichtige Chefredakteur Helmut Markwort schiebt ab und an in gewohnter „Hoppla, jetzt komme ich“-Manier Bauch voraus durch den Lichtgang. Und doch: Eine unterschwellige, bohrende Nervosität bemächtigt sich der Redaktionsstube. Es ist, als warte man auf die Explosion eines Blindgängers. Knallt er, oder knallt er nicht?

Gelegt wurde der Sprengsatz bereits vor fünf Jahren. Damals, so will es die Legende, umkreisten Verleger Hubert Burda und Gong- Chef Helmut Markwort den Tegernsee und entwarfen das Projekt eines neuen Nachrichtenmagazins. Fortan schwebt die Idee unter dem Decknamen „ein rechter Spiegel“ durch die Branche.

1991 schließlich erhielt Helmut Markwort einen Anruf seines verlegenden Freundes: „Helmut, ich brauche dich, jetzt gilt es.“ Grund der Aufregung: Der konvertierte ehemalige Bild-Gestalter Günter Prinz war mitten in der Vorbereitungsphase für Burdas Super-Zeitung von der Fahne und zurück zu Springer gegangen. Kurzentschlossen kündigte Markwort beim Nürnberger Sebaldus-Verlag, wo er den Gong zur auflagenstärksten Fernsehzeitung nach Hör zu gemacht und so dümmlich wie erfolgreiche Titel wie Ein Herz für Tiere, die aktuelle und die 2 konzipiert hatte, und übernahm Prinz' Stelle als Geschäftsführer der Burda Holding. Als solcher ist er verantwortlicher Blattmacher für alle Burda-Produkte von der Super- Illu über die Bunte bis hin zu Forbes und Freundin. In Wahrheit jedoch und zum Befremden der eifersüchtigen Schwesterblätter, die fürchten, daß die Kosten von Focus an ihrem Budget nagen könnten, widmet sich Markwort einzig der Entwicklung seines Wunschtraums Nachrichtenmagazin.

Am Montag nun soll das Machwerk 600.000fach zum Preis von vier Mark an den Kiosk, und tatsächlich ist der Moment – trotz beginnender wirtschaftlicher Rezession und anhaltendem Titelsterben – nicht so ungünstig gewählt. „Der Anzeigenmarkt ist zugegebenermaßen eng“, sagt der stellvertretende Chefredakteur und Wirtschaftsjournalist Manfred Schuhmacher, „doch ich bin sicher: Viele Spiegel-Kunden nutzen die Chance, woanders zu inserieren, wenn sie nur die Möglichkeit haben.“ Zudem ist der Spiegel auf der Höhe seiner Macht – traditionell ein guter Moment, etwas entgegenzusetzen. Auch das Konzept ist so dumm nicht. Schließlich kupfert es haargenau die erfolgreichen US-Magazine Newsweek, Time Magazin, USA today, business- week: Mit kurzen, präzisen Nachrichtenartikeln, viel auflockernden Grafiken und ansprechend bunt im Vierfarbdruck sollen einer neuentdeckten „Info-Elite“ die Informationen häppchenweise, ansprechend und leicht verdaulich serviert werden.

Achtzig Prozent der Deutschen wünschen sich ein zweites Nachrichtenmagazin, so ermittelte das Marktforschungsinstitut Infratest für Burda und bezifferte die Zielgruppe („educated readership“) auf drei Millionen Menschen. 1,2 Millionen davon lesen den Spiegel. Ergo bleiben für Focus noch genügend übrig, findet Markwort. Die wolle man gewinnen, indem man der destruktiven Häme des aufgeblähten Spiegel ein schlankes Magazin entgegensetzt mit frischer, konstruktiver Schreibe. Eine Sprache, die leicht zu verstehen ist und umzingelt wird von erklärenden Tabellen, Karten, Zeichnungen. Lebensfroh soll es sein und leicht zu nutzen, bunter lesen, schöner malen, schneller kapieren. Ein Gegen-Spiegel sei das nicht, schon gar kein rechter, findet Markwort, eher eine Gattungserweiterung. Immerhin sei Deutschland das einzige Land Europas, das sich den Luxus leiste, nur ein Nachrichtenmagazin zu haben.

Politisch, so beteuert Manfred Schuhmacher, wolle man sich ganz nüchtern geben. „Die Möllemann- Geschichte zum Beispiel hätten wir natürlich sofort gedruckt, obwohl Markwort FDP-Mitglied ist.“ Eifrig ist Focus darum bemüht, das Image des Erzkonservativen abzustreifen, doch erfolglos. „Markwort hätte es vielleicht gebracht“, feixt die Münchener Journaille, aber Jürgen Todenhöfer (CDU) hätte es verhindert. Der nämlich, von Herbert Wehner einst mit dem Kosenamen „Hodentöter“ versehen, sitzt im Burda-Vorstand und achtet darauf, daß die Verlagspolitik nicht etwa liberal abdriftet.

Mit Eugen Georg Schwarz, der von der Augsburger Bistumszeitung Mann in der Zeit – heute Weltbild – stammt, hat sich Markwort einen Stellvertreter und Politikchef ins Haus geholt, der als gleichermaßen konservativ wie cholerisch gilt. Klartext indes spricht der dritte Stellvertreter, der erst 38jährige Youngster Uli Bauer. In Einstellungsgesprächen gibt der schon mal zu: „Wenn der Spiegel im Zweifel links ist, sind wir im Zweifel rechts.“ Die Nachrichten, so Bauer, werde man so sachlich wie möglich präsentieren, doch „bei uns wird schon öfter der Fest kommentieren“. Joachim heißt der mit Vornamen, ist Mitherausgeber der FAZ und Hitler-Biograph.

Auch mit dem Anwerben kompetenter freier Mitarbeiter tut sich Focus schwer. Denen mißfällt die Kürze der Texte, doch die meisten sind sich zu unsicher, welche politische Richtung das Blatt einzuschlagen gedenkt. „Ich schau mir erstmal an, was die zu Rassismus und Ausländern schreiben, bevor ich da mitmache“, lautet der Grund-Tenor der Umworbenen.

Daß Jungdynamiker Bauer (Bewerber: „Der könnte auch Kanonenrohre verkaufen“), den Markwort von Radio Gong 2000 mitgebracht hat, ansonsten herzlich wenig vom Nachrichtenmetier versteht, hat er mit den meisten seiner Kollegen gemein.

Denn trotz der 100 bis 150 Millionen Mark, die Hubert Burda für den Versuch springen läßt, seinem Verlag einen seriösen Touch zu verleihen, fanden sich nur fünf in der Branche als besonders kompetent geltende Journalisten bei Focus ein. Neben dem zumindest als Blattmacher unbestritten versierten Markwort sein Vize Schuhmacher (Manager-Magazin, Capital), der Kulturchef Stefan Sattler (ehemals Pan), der Ressortleiter Forschung/Technik, Erwin Jurtschitsch (Morgen, Spiegel-TV) und ein altgedientes „Schlachtroß“ des Gruner-und-Jahr-Konzerns, Peter Ebel, zuständig für Sonderaufgaben. Selbst innerhalb der Redaktion weiß man, daß die Focus-Ressortleiter beim Spiegel keine Chance hätten.

Auch der heftig umgarnte Hans-Dieter Degler, den Markwort zum geschäftsführenden Stellvertreter machen wollte, entschied sich schließlich für den Spiegel. Spätestens seit dem Super-Engagement ist der Stallgeruch von Burda für die erste Garnitur der Branche zu deftig geworden. Zudem, so berichten Bewerber, scheint keine wirkliche Idee hinter dem bunten Konzept zu stecken und die Orientierung auf ein konsum- und mithin anzeigenfreundliches Umfeld allzu deutlich durchzuschimmern. Einen gutsituierten Job gibt man dafür nicht auf. Ein Denkzettel für Markwort, der fortan offensiv auf „junge, bewegliche, lenkbare“ Mitarbeiter setzt. Nicht wenige mußte er allerdings aus gescheiterten Burda-Projekten wie Super, Pan oder aus dem dahindarbenden Forbes (Szenename: Der heißeste Pups aller Zeiten) rekrutieren. Vize Schuhmacher sieht es, ganz im Focus-Stil, positiv: „Wir haben ein junges, engagiertes Team ohne Sand im Getriebe, wie bei anderen.“

Das Gerücht, Focus würde Artikel, die Anzeigenkunden vergraulen könnten, nicht abdrucken, dementiert Schuhmacher energisch. Daß sein Team Übung nötig hat, blieb indes undementiert. Seit einem halben Jahr steht die Kerntruppe, diskutiert Themen, Tenor und Tabus, sucht nach Ideen und Präsentationsformen und müht sich, das Redaktionssystem zu bändigen. In zwei Nullnummern haben die achtzig Angestellten wie Journalistenschüler den Ernstfall geprobt. Nach der ersten Ausgabe gab es bereits hitzige Auseinandersetzungen, doch von inhaltlichen Gründen motivierte Kündigungen von fünf Mitarbeitern will Vize Schuhmacher nichts wissen: „Es wird einfach Zeit, daß wir ins kalte Wasser springen“, sagt er, „das lange Trockenschwimmen verdirbt die Stimmung. Die wollen jetzt loslegen.“

Auch in den Hamburger Zentralen von Stern und Spiegel wird eifrig geübt – Gelassenheit. Focus sei inhaltlich keine Konkurenz, da stünden achtzig schlechte Leute gegen 400 erstklassige Spiegel-Mitarbeiter, Focus habe weder Auslandskorrespondenten noch die nötigen Beziehungen. Man hält es ausnahmsweise mit Helmut Schmidt: Was stört es eine deutsche Eiche, wenn sich ein Schwein daran kratzt?

Doch was, wenn Focus auch nur zehn Prozent der Anzeigenkunden wegstiehlt? Schmunzelnd darf man zumindest zur Kenntnis nehmen, wieviele Anzeigen, Grafiken und Kärtchen neuerdings das Augsteinblatt zieren. In aller Heimlichkeit, so scheint es, macht sich die Eiche mächtig auf die Socken.

Heftige Betriebsamkeit brach aus in der Hamburger Hochburg, als durchsickerte, daß Focus mit einer ultimativen Barschel-Geschichte aufwarten würde. Eine unglaubliche Vorstellung, nachdem sich die Großverlage des Landes seit fünf Jahren die Zähne daran ausbeißen. Dennoch ließ der Spiegel, sehr zum Amüsement der Branche, sechs Reporter ausschwärmen, die Geschichte nochmals zu überprüfen. Viel Neues fanden sie nicht, aber sicher ist sicher: Diese Woche schon durften sich Spiegel-Leser an fünf Seiten Barschel erfreuen. Und auch das Berliner Spiegel-Büro wird von der Frage beherrscht: „Wo sind die Focus-Leute?“

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