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Heute vor 74 Jahren wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin ermordet. Die Mörder handelten in eigenem Auftrag, dennoch erfreuten sie sich höchsten Wohlwollens. Neue Dokumente lassen jetzt eine genaue Rekonstruktion des Doppelmordes zu. Die deutsche Justiz verhinderte die Aufklärung – die Mörder starben in Ehren.

„Ein feiner Kerl“

Das Verbrechen veränderte das politische Klima in Deutschland, zerstörte Hoffnungen, festigte das Bündnis zwischen Mehrheitssozialdemokratie und antidemokratischem Militär in verhängnisvoller Weise. Die deutsche Demokratie war dem Untergang geweiht, kaum daß sie aus einem jener ebenso typischen wie später schwachen deutschen Umstürze des Zusammenbruchs entstanden war: In der Nacht vom 15. zum 16. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Soldaten und Offizieren der Garde- Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) ermordet. Die Männer hatten – soviel steht trotz aller Gerüchte heute fest – weder Befehl noch Weisung, dennoch erfreuten sie sich höheren Wohlwollens.

Die GKSD-Truppe stand für den „Kampf ums Reich“, den Kampf gegen die „Drachensaat“ der Revolution. Den Doppelmord begingen sie aus politisch-nationaler Überzeugung, zur rächenden Befriedigung jener „Schmach“, die sie im Ersten Weltkrieg erlitten und die ihnen am Ende die aufständischen Kieler Matrosen zugefügt hatten.

Eine, so würde man heute sagen, juristische Aufarbeitung fand nie ernsthaft statt, die historische blieb – auch deshalb! – lückenhaft. Und als der Süddeutsche Rundfunk zum 50. Todestag der beiden Spartakusführer ein Dokumentarspiel über den Mord sendete, da nahmen Stuttgarter Gerichte dem von dem Filmautor Dieter Ertel identifizierten Todesschützen Hermann W. Souchon in Schutz – Ertel mußte widerrufen, der Mörder starb unbehelligt 1982. Der Organisator des Mordes, Waldemar Pabst, bekannte sich seit 1958 regelmäßig und öffentlich zu dieser Bluttat. Die Strafjustiz sah darüber hinweg, Pabst erfreute sich bester Beziehungen zur Bundesregierung, wurde Mitherausgeber der NPD-nahen Zeitung „Das Deutsche Wort“, trieb Waffengeschäfte mit Taiwan, Indien und Spanien – und starb 1970 als geachteter Bürger der Bundesrepublik (alt).

Am Vormittag des 15. Januar waren die strategischen Punkte Berlins besetzt, der kommunistische „Januaraufstand“ de facto niedergeschlagen und die ersten Verhafteten „auf der Flucht erschossen“. Die Offiziere des GKSD machte das Berliner Nobelhotel Eden zum Stabsquartier. Faktisch wurde diese Truppe von dem Hauptmann Waldemar Pabst geführt. Also von jenem Mann, der am 24. Dezember 1918 den von Friedrich Ebert befohlenen Angriff auf die revolutionären Soldaten im Berliner Stadtschloß geführt und dabei sofort Gasgranaten eingesetzt hatte. Danach hatte Pabst seine Dienste dem für Ruhe und Ordnung zuständigen SPD- Volksbeauftragten Gustav Noske erfolgreich angeboten.

In Zivil besuchte Pabst Versammlungen, in denen Karl Liebknecht sprach, und kam zu der Überzeugung, daß er in ihm seinen gefährlichsten Gegner vor sich hatte. Den endgültigen Beschluß, die beiden Spartakusführer zu „beseitigen“, faßte Pabst, nachdem der „Bazillus“ auf die eigenen Leute überzugreifen drohte, nachdem ihn einer seiner Offiziere, ein katholischer Adeliger, gebeten hatte, Rosa Luxemburg zur Truppe sprechen zu lassen. Der Mann hatte eine ihrer Reden gehört, „hielt sie für eine Heilige, einen neuen Messias“. Pabst schloß aus dieser Bitte messerscharf und konsequent: „In diesem Augenblick erkannte ich die ganze Gefährlichkeit der Frau Luxemburg. Sie war gefährlicher als alle anderen, auch die mit der Waffe.“

Am Abend des 15. Januar spürten Mitglieder der Wilmersdorfer Bürgerwehr – mehrere Kaufleute und ein Destillateur – , unterstützt von zwei Polizisten, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in der Wohnung der Luxemburg- Freundin Marcusson auf. „Fräulein Luxemburg“, so wurde in einer späteren Vernehmung protokolliert, sagte dabei, „sie sei nicht Fräulein Luxemburg, sondern Frau Luxemburg“; Liebknecht bestritt seine Identität und wurde erst später an Hand eines Monogramms auf seinem Oberhemd identifiziert. Gegen 22 Uhr lieferten die Wilmersdorfer Bürger die beiden, zusammen mit dem ebenfalls verhaften Wilhelm Pieck, im Edenhotel der GKSD ab, die sie, wie selbstverständlich, als eine Art vorgesetzte Behörde betrachteten.

Pabst vernahm Karl Liebknecht, ließ ihn gegen 22.45 abführen, in Richtung Tiergarten fahren. Dort wurde er von Souchon „auf der Flucht erschossen“ und bereits um 23.15 als „unbekannte Leiche“ in der Rettungswache am Zoo eingeliefert.

Zu diesem Zeitpunkt saß Rosa Luxemburg noch im Zimmer des Hauptmanns Pabst, nähte ihren beim Transport beschädigten Rocksaum an und las Goethes Faust. Um 23.40 wurde auch sie abgeführt, im Auto bewußtlos geschlagen und dann durch einen aus unmittelbarer Nähe abgefeuerten Kopfschuß getötet, 40 Meter vom Hoteleingang entfernt. Entgegen dem Befehl des Hauptmanns Pabst brachten die Mörder die Leiche nicht zur Rettungswache am Zoo, sondern warfen sie in den Landwehrkanal. Weswegen der Mörder Rosa Luxemburgs, der Flieger-Offizier Kurt Vogel, im Jahr darauf nicht etwa wegen Mordes verurteilt wurde, sondern wegen „Wachvergehen und Beiseiteschaffung einer Leiche“.

In der Nacht vom 15. zum 16. Januar 1919 starb Karl Liebknecht, der sich so mutig und einsam gegen die erste europäische Katastrophe des Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg, gestellt hatte; mit ihm starb die polnisch-jüdische Sozialistin und Demokratin Rosa Luxemburg. Noch nachts um drei beglückwünschte ein Hauptmann Kurt von Schleicher den Organisator des Mordes Waldemar Pabst zur Tat. Was dieser – sicher ist sicher, Zeiten des Umbruchs – als „Unterstellung“ zurückwies. Von Schleicher wurde 1932 der letzte Kanzler der Weimarer Republik und 1934 gelegentlich des Röhm- Putsches ermordet. Die Häscher der Wilmersdorfer Bürgerwehr erhielten für ihr feiges Heldentum vom Bürgerrat eine für damalige Verhältnisse enorme Prämie von 1.700 Mark pro Mann, die offenkundig der Bankier Marx, der Organisator des Reichsbürgerrats, spendierte. Die Pabst-Truppe bezog ihren Sold nicht allein von der Obersten Heeresleitung, sondern wurde mit zusätzlichen Dotationen der Industriellen Hugo Stinnes und Friedrich Minoux ausgestattet. Minoux kaufte sich wenig später jene Villa im Südwesten Berlins, die später zum Ort der Wannsee-Konferenz wurde. Im Hintergrund des Doppelmordes agierte Wilhelm Canaris, der spätere Abwehrchef der Deutschen Wehrmacht. Er starb 1945 im KZ Flossenbürg, nachdem er wegen Kontakten (nicht Beteiligung!) zu den Widerständlern des 20. Juli verhaftet worden war. Gustav Noske errinnerte sich schon 1922 an Waldemar Pabst als an einen seiner „rührigsten“ Helfer. Pabst 1966 über Noske: „Ein feiner Kerl!“ Götz Aly

Der Artikel basiert auf der beeindruckenden 50seitigen Forschungsarbeit von Klaus Gietinger „Nachträge, betreffend Aufklärung der Umstände, unter denen Frau Rosa Luxemburg den Tod gefunden hat“. Erschienen in „Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, 1992, Heft 3. Bezug: Historische Kommission zu Berlin, Kirchweg 33, 1000 Berlin 38. DM 20,–

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