: Geheimer Zins-Diebstahl!
■ Gefangene kriegen keine Zinsen für ihre obligatorische Rücklage
Obwohl wir hier in allen Sachen verwaltet werden und selbst beim Kauf von Büchern oder einem Radio die Genehmigung des sogenannten Abteilungsleiters einholen müssen, ist dieser Fall bei Geldangelegenheiten total anders. Man achtet darauf, daß das gesamte Hab und Gut des Gefangenen verwahrt und verwaltet ist. Jede Geldüberweisung will dieser komische Verein begründet haben, und oft genug werden entsprechende Anträge abgelehnt. Aber wenn es um die Rücklage des Gefangenen geht, dann beruft man sich plötzlich auf dessen Entscheidungsfreiheit.
So begegnete man mir jedenfalls, nachdem ich für meine in den letzten Jahren angesparte Rücklage eine spezifizierte Zinsaufstellung von der JVA Celle verlangt habe. Diese Rücklage beträgt inzwischen 2.500 Mark.
Man teilte mir auf meine Anfrage mit, daß ich dafür keine Zinsen erhalte. Ich hätte, so wurde mir mitgeteilt, dieses Geld bei einer Bank festverzinslich anlegen sollen, dann würde ich von der Bank auch Zinsen bekommen. Angeblich sei mir das am 6. September 1991 auch von einem Sachbearbeiter gesagt worden.
Hier möchte ich gleich hinzufügen, daß ich mich an ein solches Gespräch nicht erinnern kann, aber abgesehen davon ist es doch eine erstaunliche Leistung des Sachbearbeiters, mich nach 10 Jahren – ich bin seit 1982 in Haft – über diese Möglichkeit unterrichtet zu haben! Interessant ist dabei auch, daß es hier, wo über jeden Furz eine sogenannte Verfügung, also ein Aushang am Brett, gemacht wird, man es nicht für wichtig hielt, auf die Möglichkeit einer Verzinsung der Rücklage durch einen entsprechenden Aushang hinzuweisen. Das ist auch sehr gut zu verstehen, denn wo in der Welt gibt es billigeres Geld als bei den Ärmsten der Armen?
Ausgehend von einer Gefangenenzahl von 250 Personen und einer Rücklage pro Person von 1.500 Mark, ergibt das einen Gesamtbetrag von 375.000 Mark. Über dieses Geld kann dann der Fiskus oder die JVA zinslos verfügen und bei einer Festanlegung von 11 Prozent jährlich sind das 41.250 Mark an Zinsen! Ich beziehe mich hier auf fiktive Zahlen, die aber in der Realität durchaus überschritten werden können. Denn der einzelne Gefangene muß rund 1.000 Mark angespart haben, sofern er nicht verheiratet ist und keine Kinder hat. Aber es gibt hier auch reichlich Gefangene, die 3.000 bis 5.000 Mark gespart haben und immer noch keine Zinsen erhalten.
Um einmal die Gesamtsituation zu verdeutlichen: Am 31.12.91 befanden sich in Niedersachsen rund 4.195 männliche Gefangene in Haft. Diesen Gefangenen unterstelle ich nur eine Rücklage von 500 Mark, was in der Endsumme 2.097.500 Mark sind. Bei einem Zinssatz von 11 Prozent ergibt das 230.725 Mark Zinsen pro Jahr, eine hübsche Summe, von der jeder Betrüger nur träumen kann.
Zurück zu Celle: Ausgehend von der Tatsache, daß es hier jährlich acht bis zehn Entlassungen gibt und diese Personen im Durchschnitt 1.500 Mark mitnehmen, sind somit runde 15.000 Mark von den Zinsen abzuziehen. Das heißt, hier werden nicht einmal die Zinsen ausgezahlt, sondern von dem Zinssatz werden Jahr für Jahr noch einmal 26.250 Mark in den Sack gesteckt! Es bleibt also festzuhalten, daß der Gefangene nicht nur um seinen gerechten Lohn und seine Rentenversicherung betrogen wird, sondern zusätzlich noch um seine Zinsen! (...) Die reine Rechtslage sieht wie folgt aus: Paragraph 51 StVollz G schränkt die Verfügungsbefugnis des Gefangenen über seine Bezüge ein und schützt sie gleichzeitig vor dem Zugriff der Gläubiger. Dementsprechend darf der Gefangene während der Haft – vorbehaltlich des Paragraphen 51 Abs. 3 – nicht über das Überbrückungsgeld verfügen (LG Karlsruhe ZfStr Vo 79, 125 LS). Rechtlich handelt es sich um einen Zahlungsanspruch gegen das Land, vertreten durch die JVA, der nach Paragraph 51, Abs. 2 Satz 1 grundsätzlich erst im Zeitpunkt der Entlassung fällig wird. Es ist ein dem Gefangenen gegen den Staat zustehendes Guthaben, an dem sich rechtlich durch die Art des Anlegens (z.B. Sparvertrag bei einem Kreditinstitut) nichts ändert. Richtet die JVA ein Konto in Höhe des Überbrückungsgeldes bei einem Kreditinstitut ein, so ist Gläubiger des Guthabens allein der Staat. Die Wahl des Kreditinstitutes und der Anlageform wirkt sich nur auf die Zinsen dieses Guthabens aus (OLG Celle NStZ 89,427).
Daraus resultiert also, daß die JVA das Konto einzurichten hat, und dies resultiert auch aus dem Verwahrprinzip dieser Anstalt. Denn mir ist kein Geldinstitut bekannt, das rund 375.000 Mark zinslos verleiht. Wohl aber sind mir Verzugszinsen bekannt, die der Staat schon bei einer geringen Fristüberschreitung und bei den geringfügigsten Forderungen erhebt!
P.M., JVA Celle
Nachtrag:
Der Gefangene P.M. hatte zur Klärung der Frage, wer denn nun sein Geld hätte zinsbringend anlegen müssen, die Strafvollstreckungskammer und das Verwaltungsgericht Lüneburg angerufen. Diese beiden Gerichte schoben sich die Zuständigkeit für die heikle Frage gegenseitig zu. Erst nachdem M. beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Verfügung zur Wahrung des Rechtsweges beantragt hatte, bequemte sich das Verwaltungsgericht, einen Termin für eine mündliche Verhandlung über die Frage anzuberaumen. Er sollte am 26. Oktober sein. Aber am Morgen des 26. verweigerte die JVA Celle M. zu dessen Überraschung die Ausführung zu dem Gerichtstermin. So fand die Verhandlung ohne den Kläger statt – und war nach zehn Minuten beendet. Ergebnis: M.s Klage wurde abgewiesen. Eine Berufung wird nicht zugelassen. Was M. nicht wußte: Die Justizbehörde hatte bereits drei Tage vor dem Verhandlungstermin telefonisch mitgeteilt, daß weder der Kläger (also M.) noch ein Vertreter der beklagten JVA erscheinen würden. – Ein abgekartetes Spiel? Jedenfalls liest sich das Antwortschreiben des Verwaltungsgerichtes auf M.s Beschwerde gegen diese Verfahrenswinkelzüge wie glatter Hohn: „... Das Verwaltungsgericht ist rechtlich nicht befugt, ein ergangenes Urteil selbst wieder aufzuheben. Da Ihr persönliches Erscheinen zu dem Termin am 26.10. (...) nicht angeordnet worden war und über eine Klage auch ohne Anwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Beteiligten entschieden werden kann (...), durfte die mündliche Verhandlung trotz Ihrer Abwesenheit durchgeführt und eine Entscheidung getroffen werden. Der Frage, ob Ihre Nichtwahrnehmung des Termins auf einem Eigenverschulden, einem Verschulden der JVA Celle oder einem Mißverständnis beruht, braucht nicht nachgegangen zu werden, da eine neue Terminierung der Sache vor dem Verwaltungsgericht in keinem der genannten Fälle möglich ist. Mit freundlichen Grüßen.“
Informationen und Aktenzeichen zu dem Verfahren können bei der taz-Knastabo-Abteilung angefordert werden! (taz)
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