: Schröder glaubt nicht ans Energiesparen
■ Niedersächsische Pläne für den Energiekonsens: Atomreaktoren sollen durch neue Kohle- und Gaskraftwerke ersetzt werden
Bonn (taz) – Die Atomkraft lasse sich nicht einfach durch „Sonne, Luft und Liebe“ ersetzen. Mit diesem Satz begründet man in der Umgebung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD) Pläne, im Fall eines Abschaltens von Atomkraftwerken deren Leistung komplett durch Kraftwerke für fossile Brennstoffe zu ersetzen.
Eine Minderung der Kohlendioxidemissionen, die entscheidend zum sogenannten Treibhauseffekt beitragen, sei bei einem Ausstieg aus der Atomkraft kaum möglich, heißt es im Vorfeld der von Schröder initiierten Verhandlungen über einen neuen „Energiekonsens“. Die Energiesparpotentiale seien geringer als oft angenommen.
Die Niedersachsen berufen sich auf ein noch unveröffentlichtes Gutachten des Basler Prognos-Instituts und des Darmstädter Öko- Instituts. Beide Institute hätten für die nächsten Jahre ein weiteres Wachstum des Strombedarfs prognostiziert. Mittels Energiesparens und des Einsatzes regenerativer Energien lasse sich lediglich dieser Zuwachs kompensieren. Schalte man jedoch die Atomkraftwerke ab, müßte ihre Leistung durch Grundlastkraftwerke anderer Bauart ersetzt werden. Allein in Niedersachsen müßten zwei neue Großkraftwerke für Kohle- oder Gasbefeuerung gebaut werden. Es sei jedoch, so das Ergebnis des Gutachtens, kein erhöhter Ausstoß des Treibhausgases zu erwarten.
Das Darmstädter Öko-Institut wehrt sich gegen diese Schlußfolgerungen. Die Aussagen der Landesregierung in Hannover seien „unzutreffend“, sagte der Energiekoordinator des Instituts, Uwe Fritsche, auf Anfrage der taz. Das Öko-Institut sei lediglich Subauftragnehmer für Prognos gewesen und bezweifle den Wert der Studie. In einem Gutachten für „Greenpeace“ habe das Institut bereits gezeigt, daß ein bundesweiter Atomausstieg sich durchaus mit einer Minderung der CO2-Emissionen um 20 bis 25 Prozent verbinden lasse. In der Schröder-Studie sei dagegen ein isolierter Ausstieg des Bundeslandes Niedersachens simuliert worden. Dies verzerre die Ergebnisse.
Fritsche wies darauf hin, daß Niedersachsen 40 Prozent des im Land produzierten Stromes exportiere. Es sei leicht nachvollziehbar, daß der außerhalb der Landesgrenzen vorhandene Strombedarf nicht durch Einsparanstrengungen innerhalb Niedersachsens reduziert werden könne. Zudem habe die Prognose weitgehend unveränderte bundesrechtliche Rahmenbedingungen zur Grundlage gehabt. Im Fall eines neuen Energiekonsenses müßten diese Rahmenbedingungen drastisch verändert werden und das Energiesparen ebenso wie regenerative Energien stärker fördern.
Dieser Streit dürfte Befürchtungen der Umweltpolitiker der SPD- Bundestagsfraktion bestätigen, die bereits öffentlich Skepsis über Schröders Verhandlungsführung geäußert hatten. Der Rücktritt von Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) hat den Zeitplan der Verhandlungen bereits umgeworfen. Wegen des Ausfalls Möllemanns, der neben Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) die Bundesregierung vertreten sollte, habe es bislang nur Vorgespräche gegeben, heißt es in Bonn.
Ob die Verhandlungen bis zum Sommer zu einem Erfolg führen, gilt selbst Schröder als fraglich. Die Niedersachsen schließen auch ein Scheitern nicht aus und verweisen dabei vor allem auf die anhaltende Entscheidungsschwäche der Bundesregierung. Für den Erfolg der Verhandlungen spreche andererseits nicht nur der Verhandlungswille von SPD, Grünen und Umweltverbänden, die Energiewirtschaft selbst sei unter Druck geraten: Es sei ihr nicht nur unmöglich, Genehmigungen für neue Atomkraftwerke zu erhalten, auch konventionelle Kraftwerksneubauten ließen sich derzeit nicht durchsetzen. Hans-Martin Tillack
Kommentar Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen