Es stinkt nicht nur in den Kabinen

Tischtennis-Klebe-Theater ohne Ende, aber es wird munter weiter geschnüffelt  ■ Von Manfred Kriener

Als sich am vergangene Sonntag die Spieler des VFL Tegel III und des SC Union Victoria Neukölln zum fälligen Spitzenspiel der zweiten Tischtennis-Kreisliga Berlin trafen, war die Rechtslage unklar. Während zwei Spieler wußten, daß das Frischkleben der Beläge mit bestimmten Klebern jetzt wieder zugelassen sei, schüttelten die anderen erstaunt den Kopf. Einigkeit bestand nur in einem: in der Gewißheit, daß die Verbandsoberen mitten in der Saison ein heilloses Chaos angerichtet hatten.

Inzwischen proben nicht nur die Spieler, sondern selbst die Schiedsrichter den Aufstand. Bei den Berliner Meisterschaften am kommenden Wochenende etwa wird es keine Schnüffelproben geben. Die Schiedsrichter weigern sich, die Schläger zu kontrollieren. Selbst wenn sie wollten, könnten sie nur sehr schwer feststellen, ob ein Spieler irgendwo im stillen Kämmerlein frisch geklebt hat. Spekulation über das Versiegeln der Schläger sind ebenso absurd wie Riechproben oder das Hinhalten des Feuerzeugs. Spielerspott: „Wenn der Schläger explodiert, war er frisch geklebt.“

Ganze vier Wochen hatte das vom Internationalen Tischtennisverband ausgesprochene Verbot, die Tischtennisbeläge unmittelbar vor dem Wettkampf frisch auf die Hölzer zu kleben, um so mehr Geschwindigkeit und Effekt zu erzielen, gehalten. Nach heftigen Protesten der Spieler, nach Boykott- und Rücktrittsdrohungen machte der ITTF eine Kehrtwendung und erlaubte am 11.Januar die Benutzung von drei angeblich weniger gesundheitsschädlichen Klebern („Rapid Clean“, „Ambro Fast“ und „Universal“). Zusätzlich wurde per Verbandsbeschluß verfügt, daß das Kleben nur unter Kontrolle und in einem speziellen Raum stattfinden darf.

Beim 3. European Nations Cup am Wochenende in Karlsruhe führte das zu absurden Konsequenzen: Während die Spieler sonst meist im Freien klebten, damit die Gifte besser abziehen, mußten sie diesmal unter Aufsicht in einem kleinen Raum, in dem es fürchterlich stank, die Schläger präparieren. Immerhin: „Die Bälle sind fast so schnell wie früher“, kommentierte Steffen Fetzner die erlaubten Produkte. Vize-Europameister Jean-Michel Saive wird dem kaum zustimmen. Der Belgier wurde gleich gar nicht aufgestellt, weil er mit den neuen Klebern nicht zurechtkommt. Auch der Olympia-Zweite Jean-Philippe Gatien fehlte in Karlsruhe. Ohne seinen vertrauten Frischkleber hat der Franzose „die Kugel nicht mehr getroffen“, witzelte die deutsche Cheftrainerin Eva Jeler.

Spieler und Trainer spekulieren in Karlsruhe, was den Verband wohl zu seinem Rückzieher beim Frischkleben bewogen hat. Waren es die Proteste der Spielergewerkschaft oder der Firmen, die auf mehreren Tonnen Kleber sitzen? Jörg Roßkopf hat noch eine andere Erklärung: Er glaubt, daß die Europäer ihre wiedergewonnene Spitzenstellung ohne Frischkleber an die Chinesen verloren hätten, die oft noch mit Außennoppen und ohne Kleber spielen. Haben die Europäer im ITTF Druck gemacht?

Auf jeden Fall war es nicht das erste Mal, daß der Verband Kapriolen schlägt. Der aktionistische japanische ITTF-Präsident Ogimura heckt fast täglich neue Vorschläge aus, um den Sport attraktiver – sprich medienwirksamer und damit verkäuflicher – zu machen. Höhere Netze, größere oder leuchtende Bälle, diagonale Aufschläge, eine Zählweise wie im Tennis: Herrn Ogimuras Phantasie ist grenzenlos. Auch das Frischklebeverbot muß vor diesem Hintergrund diskutiert werden. Nicht wenige Beobachter glauben, daß es den Verbandsoberen nicht allein um die Gesundheit der Spieler, sondern um die Verlangsamung ihres Sports ging. Das immer schneller gewordene Tischtennis hat in den letzten Jahren deutlich an Attraktivität verloren, weil lange Ballwechsel immer seltener werden und Abwehrspieler keine Chance mehr haben.

Tischtennis wurde am Wochenende auch noch gespielt. Schweden gewann den European Nations Cup im Finale gegen die BRD, und Jörg Roßkopf wurde zum besten Spieler des Turniers gewählt. Und dies, obwohl Rossi seine Rückhand – die beste der Welt – ganz ohne Frischkleber spielt, schon immer.