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Zweite Enteignung bei Mauergrundstücken

■ Entgegen der bisherigen Position verkauft der Senat nun Mauergrundstücke

Berlin. Der Senat will Mauergrundstücke in Treptow an die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land verkaufen. Dort sollen auf mehr als 5.600 Quadratmeter 136 Wohneinheiten errichtet werden. Den früheren Eigentümern dieser Grundstücke wurde bereits von der Bauverwaltung mitgeteilt, daß die „Stadt und Land“ einen Investitionsvorrangbescheid erhalte. Eine Möglichkeit, die Grundstücke zurückzuerhalten, ist damit für die Alteigentümer faktisch nicht mehr gegeben. Mit diesem Vorgehen rückt das Land Berlin von seiner bisherigen Position beim Streit um die Restitution der Mauergrundstücke ab. Laut Einigungsvertrag fallen diese als ehemaliger Besitz der Nationalen Volksarmee in das Vermögen der Bundeswehr. Eine Vergütung für die Alteigentümer ist nicht vorgesehen, da diese nach Auffassung der Bundesregierung bereits zu DDR-Zeiten entschädigt worden seien. Die Enteigung zum Mauerbau, so der damalige Innenminister Schäuble, sei eine „normale“ Enteigung nach den DDR-Gesetzen gewesen. Auch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) mochte darin keine „diskriminierende Enteignung (Teilungsunrecht) erkennen“.

Der Senat hatte gegen diese Haltung der Bundesregierung immer wieder protestiert, da damit altes Unrecht zur Grundlage von Enteigung gemacht werde. Um den mißlichen Zustand zu ändern, brachte er im letzten Jahr einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundesrat ein, in dem die Anerkennung der Ansprüche der Alteigentümer geregelt ist. Noch im November bekräftigten alle Parteien des Abgeordnetenhauses einstimmig eine Aufforderung an den Senat, „bis zum Erfolg der Bundesratsinitiative nicht über streitbefangene Grundstücke zu verfügen. Ein gleiches Verhalten ist bei der Bundesregierung durchzusetzen.“ Die Grundstücke in Treptow waren vom Bund dem Land Berlin im Wege einer Verfügungsberechtigung zugeordnet worden. Daß der Senat diese nun für eigene Wohnungsbauzwecke veräußert und damit der eigenen öffentlich vertretenen Position zuwiderhandelt, halten die Grünen/ Bündnis90 für skandalös. Hier werde, so erklärten sie gestern, die politische Glaubwürdigkeit massiv aufs Spiel gesetzt. Heute wird sich der Ausschuß für Bundes- und Europaangelegenheiten mit der Thematik befassen. Der zuständige Senator Peter Radunski hatte noch vor nicht allzu langer Zeit die Einschätzung vertreten, „die rechtspolitische Sensibilität höre dann auf, wenn es um das Zusammenraffen von Eigentum geht“. Dieter Rulff

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