■ Mit Benomylschäden auf du und du
: Blind für die Gefahr

Dublin (taz) – Anophtalmie ist eine äußerst seltene Krankheit, bei der Kinder ohne Augen geboren werden. Weltweit treten nur 80 bis 120 Fälle pro Jahr auf. Bisher waren WissenschaftlerInnen davon ausgegangen, daß Anophtalmie auf genetische Schäden der Eltern zurückzuführen ist. Diese Theorie ist jetzt aber ins Wanken geraten. Denn die Krankheit tritt an verschiedenen Orten in Großbritannien in letzter Zeit gehäuft auf. Einige ForscherInnen vermuten, daß ein Pilzbekämpfungsmittel dafür verantwortlich ist.

In der Nähe des Dorfes Louth im Norden der Grafschaft Lincolnshire sind in den vergangenen zwölf Jahren neun Kinder ohne Augen oder mit mikroskopisch kleinen Augen geboren worden. In der walisischen Hauptstadt Cardiff gab es zwischen 1980 und 1989 sechs und in Süd-Wales weitere elf Fälle. Augenspezialisten sind inzwischen davon überzeugt, daß nicht allein Erbgutschäden die Ursache dafür sind. Ärzte am Londoner Moorfields-Krankenhaus, die die Krankheit seit fünf Jahren erforschen, untersuchen zur Zeit eine Verbindung zwischen der Krankheit und der Verwendung von benomylhaltigen Fungiziden, die auf Weizenfelder, Obstplantagen und in Kleingärten versprüht werden. Während die Moorfields-Ärzte zunächst statistisches Material sammeln, ist man in Schweden und den USA schon weiter. US- WissenschaftlerInnen haben vor zwei Jahren nachgewiesen, daß bei 43,3 Prozent der schwangeren Ratten, denen Benomyl injiziert wurde, der Nachwuchs mit schweren Augenfehlern zur Welt kam. Bei den Ratten, deren Nahrung wenig Protein enthielt, erhöhte sich diese Zahl auf 63,5 Prozent. Eine schwedische Untersuchung kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Seit 1988 darf Benomyl in Schweden nur noch von wenigen Unternehmen gesprüht werden, aus Kleingärten ist das Mittel schon seit 1982 verbannt. Sylvia Jarl vom schwedischen Chemie-Inspektorat sagte, daß der Gebrauch von Benomyl demnächst ganz eingestellt werden soll.

Der Beratungsausschuß des britischen Landwirtschaftsministeriums hat dagegen im vergangenen Juli Benomyl für unbedenklich erklärt. Das Ministerium veröffentlichte Richtlinien, wonach höchstens 30 Milligram Benomyl pro Kilogramm Fungizid am Tag verwendet werden dürfen. Das liege tausendmal unter der gefährlichen Dosis – eine wahre Rechenleistung, wenn niemand weiß, wie hoch die gefährliche Dosis ist. Ralf Sotscheck