: Der Dicke läßt die Dünnen sparen
■ Von allen Seiten heftige Kritik am Sparpaket/ CDU-Sozialausschüsse fordern Arbeitsmarktabgabe
Bonn/Berlin (taz) – Die von den Koalitionsspitzen geplanten Kürzungen der Sozialleistungen sind bei Sozialdemokraten, Gewerkschaften, aber auch Teilen der CDU auf scharfe Kritik gestoßen. Die SPD weist die Sparpläne als „unsozial“ zurück und will sie im Bundesrat kippen.
Streit gibt es innerhalb der Regierungskoalition um die von den CDU-Sozialausschüssen geforderte Einführung einer Arbeitsmarktabgabe. Die FDP lehnt dies strikt ab. Der Vorsitzende der CDU-Arbeitnehmergruppe im Bundestag, Heribert Scharrenbroich, kündigte jedoch an, in dieser Frage nicht nachzugeben. Auch die einkommensbezogenen Kürzungen beim Kinder-, Erziehungs- und Wohngeld könnten so nicht stehenbleiben. Es sei zu befürchten, daß die Belastungen sich vor allem für kinderreiche Familien häuften. Nach Angaben von dpa wird jetzt erwogen, auf die Kürzung des Wohngeldes zu verzichten und dafür die Einkommensgrenzen der steuerlichen Eigenheimförderung herunterzusetzen.
Unzufrieden sind die ostdeutschen CDU-Abgeordneten darüber, daß im Nachtragshaushalt nur drei Milliarden Mark für den Aufbau Ost vorgesehen sind. Ursprünglich hatte die Bundesregierung acht Milliarden Mark in Aussicht gestellt. Sie verlangen, daß durch zusätzliche Einsparungen mehr Mittel für Ostdeutschland freigeschaufelt werden. Auch der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel kündigte an, die neuen Länder würden sich mit drei Milliarden nicht zufriedengeben.
Der SPD-Vize Oskar Lafontaine nannte gestern vier Bedingungen für die Zustimmung seiner Partei zum sogenannten Solidarpakt: erstens die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige, zweitens eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende, drittens kein Abkassieren bei den sozial Schwachen und viertens spürbare Zinssenkungen durch die Bundesbank. Lafontaine kritisierte, daß der Staat durch die für 1994 vorgesehene Unternehmenssteuerreform jährlich fünf Milliarden Mark verschenke, aber bei Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen jährlich sieben Milliarden Mark sparen wolle. Dies zeige, „daß der Bundesregierung das soziale Gewissen völlig fehlt“. Ein Sprecher des Bündnis 90/Grüne sagte, mit den geplanten Kürzungen erlebten immer größere Gruppen der Bevölkerung „auf schleichende Art und Weise den Prozeß ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung“.
Auch von Wirtschaftsverbänden mußten die Koalitionspolitiker Kritik einstecken. Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) bemängelte, die Regierung sei zu zaghaft beim Abbau der staatlichen Subventionen. Der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels befand die Ausgabenkürzungen in den öffentlichen Haushalten für „völlig unzureichend“.
Die ÖTV bezeichnete das Sparpaket als unsolidarische Streichliste ohne Perspektive für eine vorwärtsgewandte Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland. Der DGB warnte, daß bei einer Kürzung der Arbeitslosenunterstützung noch mehr Arbeitslose im unteren Einkommensbereich in die Armut gedrängt würden. win Seiten 2 und 3
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