: „Viele Menschen tragen den Erreger bereits in sich“
■ Interview mit Professor Richard Lacey, Mikrobiologe an der Universität Leeds im Norden Englands, zur Frage der Übertragbarkeit der Rinderseuche auf Menschen
taz: Herr Professor Lacey, wie wird die Rinderseuche BSE übertragen?
Richard Lacey: Die ersten BSE- Fälle wurden 1985 registriert. Ursprünglich wurde angenommen, daß die Seuche durch Fütterung von Schafabfällen, insbesondere der Gehirne, ausgelöst wird. Die Krankheit wird jedoch außerdem von der Mutter auf das ungeborene Kalb übertragen. Darüber hinaus gelangt der Erreger wahrscheinlich durch die Exkremente im Gras auf den Wiesen in den Organismus der Rinder. Deshalb steigt die Zahl der Fälle weiterhin an, wir haben die Spitze noch nicht erreicht. Es liegen noch nicht alle dokumentierten Fälle für das Jahr 1992 vor, aber es ist anzunehmen, daß die Zahl bei etwa 40.000 liegen wird. Im Jahr zuvor waren es 24.000.
Das sind die von der britischen Regierung veröffentlichten Zahlen. Sind sie korrekt?
Sie sind wahrscheinlich mehr oder weniger korrekt, soweit sie die von den Bauern gemeldeten Fälle betrifft. Viele Fälle gelangen aber gar nicht in diese Statistik. Es gibt heimliche Verbrennungen und Beerdigungen, so daß die wirkliche Zahl viel höher ist. Außerdem gibt es für jedes kranke Tier zwischen ein und zehn weitere Tiere, die zwar infiziert sind, aber keine Symptome zeigen. Sie werden geschlachtet, bevor sie überhaupt alt genug sind, um krank zu werden.
Ist BSE auf Menschen übertragbar?
Bei Experimenten hat die Krankheit die meisten Säugetiere befallen, die mit BSE getestet wurden. Ich sehe keinen Grund, warum Menschen dafür nicht anfällig sein sollten. Viele Menschen tragen meiner Ansicht nach den Erreger bereits in sich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er das Gehirn schädigt.
Ich erwarte, daß das Ende des Jahrhunderts und im nächsten Jahrhundert der Fall sein wird. Die britische Regierung hat gesagt, daß sich der Erreger nur im Gehirn der Rinder befindet. Aber wie kommt er dorthin, frage ich mich. Er muß durch anderes Gewebe dorthin gelangen. Meiner Meinung nach ist der Erreger im Blut, in den Nerven und in den Muskeln. Und wir wissen, daß Fleisch sowohl Blut als auch Nerven enthält. Rindfleisch von Herden, bei denen diese Krankheit vorkommt, stellt also für Menschen eine echte Gefahr dar.
Die Europäische Gemeinschaft hat ein Exportverbot für britische Rinder erlassen, die älter als sechs Monate sind. Ist die Gefahr für andere Länder durch diese Maßnahme gebannt?
Die britischen Kälber unter sechs Monaten gelangen – mitsamt den Gehirnen – in die Nahrungskette. Da ich annehme, daß die Infektion von der Mutter auf das Kalb übertragen werden kann, müssen einige der Kälber, die wir exportieren, den Erreger in sich tragen. Diese Tiere können dann andere Tiere im Exportland infizieren. Deshalb gibt es BSE-Fälle in der Schweiz, in Frankreich und in Dänemark. Wir müssen den Export von Kälbern und Rindfleisch aus infizierten Herden einstellen, bis wir unser Problem gelöst haben. Wir infizieren den Rest der Welt, nur damit einige Bauern einen kurzfristigen Vorteil haben. Das muß aufhören.
Welche Bedeutung hat die Entwicklung eines Tests am lebenden Tier bei der BSE-Bekämpfung?
Der Test am lebenden Tier würde uns die Größenordnung des Problems verraten. Natürlich will die Regierung nicht, daß wir das herausfinden; sie müßte dann zugeben, daß das Problem noch größer ist, als sie behauptet. Die Regierung müßte dann nämlich zugeben, daß infiziertes Gewebe in die Nahrungsmittelkette gelangt. Diesen Tatsachen müssen wir uns stellen, auch wenn die Nachricht schlecht ist. Das Monopol auf das Kontrollmaterial von BSE-infizierten Tieren liegt bei der Regierung. Und die hat dem Gesundheitsamt mitgeteilt, das Material sei für Menschen zwar so gefährlich, daß es nur in besonderen Einrichtungen aufbewahrt werden darf. Dennoch soll man es essen können. Für mich handelt es sich hier um eine Vertuschungs- und Desinformationskampagne, damit die britische Bevölkerung weiterhin Rindfleisch ißt.
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