■ Craxis Rücktritt ist nicht mehr zu vermeiden: Verdächtige Aussparung
Mit seiner starrsinnigen Weigerung abzutreten, erweist Italiens Sozialistenchef Bettino Craxi, der sich offenbar der passiven Bestechung in Höhe von umgerechnet mindestens 50 Millionen DM schuldig gemacht hat, seinen Machterben einen großen Gefallen: Nun konzentrieren sich alle Kräfte auf ihn, und nach seinem nicht mehr vermeidbaren Rücktritt wird die Puste aus der Aktion „Mani pulite“ (Saubere Hände), der Untersuchung des größten Korruptionsskandals im Nachkriegseuropa, heraus sein. Schon bald wird sich das Theorem durchsetzen, wonach es ein Unterschied sei, ob einer für die Partei Geld genommen hat oder für sich selbst – als ob das Beibringen von Millionensummen in die Parteikasse nicht immer auch gleichzeitig ein eigennütziges, weil machtförderndes Element für den Geldbeitreiber wäre. Und schnell werden die Gerichte die geradezu absurde, aber hartnäckige Erklärung Craxis und anderer Parteichefs akzeptieren, wonach der Parteichef nicht weiß, was der Kassier so alles einnimmt – als ob es einem Craxi gar nicht hätte auffallen können, daß er mit seiner Unterschrift unter die Jahresbilanz Parteizuwendungen in einer Höhe von umgerechnet nicht mal einer halben Million DM deklarierte – bei einem Ausgabenvolumen von über 40 Millionen DM.
Garant für ein schnelles Begräbnis der rechtsstaatlichen Wende ist Craxis Erbe innerhalb der Sozialistischen Partei, Justizminister Claudio Martelli (der die Partei selbst dann bestimmen wird, wenn aus optischen Gründen zunächst doch noch der derzeitige Regierungschef Amato das oberste Parteiamt übernehmen sollte): ein Mann, der ganz im Geiste Craxis erzogen ist und nie ein Zeichen von Distanz zu seinem Ziehvater gegeben hat, bis er mit dessen unvermittelter Schwäche seine Stunde gekommen sah und seinen Chef endlich anpinkeln konnte – wie Craxi selbst dies einst mit seinem Chef De Martino getan hatte. Martelli ist ein Opportunist ersten Ranges, den man mangels jeden Anflugs von politischem Konzept nicht einmal als Pragmatiker bezeichnen kann. Wahrscheinlich ist er deshalb der Mann der Stunde und wird von allen Seiten – von Unternehmern wie Intellektuellen wie der Linksopposition – favorisiert.
Dabei sollte ein Detail der Aktion „Mani pulite“ Anlaß zu Besorgnis geben: Eine Periode haben die Ermittler ausgespart, obwohl Delikte aus dieser Zeit noch längst nicht verjährt wären: 1983 bis 1987. In dieser Zeit war Craxi Regierungschef. Die Führung der Partei hatte er daher an seinen – einzigen – Stellvertreter abgegeben, und der muß nach allen Gesetzen der Logik daher mindestens ebensoviel von den unsauberen Geschäften zwischen Unternehmern und Parteipolitikern gewußt haben wie Craxi selbst. Sein Name: Claudio Martelli. Werner Raith, Rom
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