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Ohne Herz und Verstand

Skandal in Portugal um den Wechsel Paulo Futres von Atletico Madrid zu Benfica Lissabon  ■ Aus Lissabon Theodor Pischke

Gibt es ein Land der Welt, wo der Regierungschef persönlich in der Hauptnachrichtensendung des Fernsehens zum Thema Fußball interviewt wird? Ja, gibt es. Portugal. Und der Kommentar von Premierminister Anibal Cavaco Silva zum teuersten Spieler-Transfer in der Geschichte des portugiesischen Fußballs ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: den dafür Verantwortlichen fehle es an „gesundem Menschenverstand“. Was war geschehen?

Paulo Futre, 32facher portugiesischer Nationalspieler und bei Atletico Madrid unter Vertrag, wurde dort seines Lebens nicht mehr froh. In fünf Jahren nur zweimal Pokalsieger, kein einziges Mal spanischer Meister. Das sei für einen Spieler seines Formats einfach zu wenig. Auch Trainer Luis Aragones sah das so. Und für ihn gab es einen Hauptschuldigen: Paulo Futre. Nach dem mageren 1:1 im Lokalderby gegen Real Madrid machte Aragones seinen Linksaußen heftig herunter. Futre platzte der Kragen: „Ich will weg, so schnell wie möglich.“

In der portugiesischen Hauptstadt hörte man das gern. Der Präsident von Sporting Lissabon bekundete sofort Interesse für den 26jährigen. Bei Sporting hatte Futre als 17jähriger seine Karriere begonnen, jetzt wollte er gern zurückkehren. „Ich bin weggegangen wegen des Geldes, nun komme ich mit dem Herzen wieder“, beteuerte Futre lieb.

Er kehrte nicht zurück. Mit Sporting wurde er sich prinzipiell schnell einig über einen Vertrag. Doch da war noch die Ablösesumme. 800 Millionen Escudos verlangte Atletico Madrid für die Auflösung des bis 1995 gültigen Kontraktes mit Futre. Umgerechnet fast neun Millionen Mark. Sporting-Präsident Sousa Cintra lief von Bank zu Bank, um das Geld aufzutreiben, bot gar sein persönliches Vermögen als Sicherheit. Kredite seien möglich, doch brauche man Zeit, um alles genau zu prüfen, sagten die Banken mit der Banken eigenen Vorsicht.

Nun witterte Benfica Lissabon seine Chance, dem Lokalrivalen Futre vor der Nase wegzuschnappen. Denn Atletico-Präsident Jesus Gil y Gil wollte den Deal so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Gar nicht mit Güte und Geduld, so wie es seinem heiligen Vornamen geziemt hätte, sagte er: Wenn binnen 48 Stunden der Scheck nicht auf dem Tisch liege, werde Futre auch künftig nirgendwo anders trainieren als auf dem Rasen des Madrider Stadions „Vicente Calderon“.

Benfica-Präsident Jorge de Brito war schlauer als sein Kollege von Sporting. Er ging nicht zur Bank. Er ging zum Fernsehen. Dort saß auf höchstem Posten ein alter Freund: Monteiro de Lemos, Präsident des Verwaltungsrates des staatlichen portugiesischen Fernsehens (RTP) und bis Ende vergangenen Jahres im Zweitberuf Vize-Schatzmeister von Benfica. Die beiden wußten einen Weg: das Fernsehen bezahlt Benfica im voraus 3,3 Millionen Mark für die Übertragungsrechte an den Benfica-Spielen bis zum Saisonende 1995/96. Weitere 3,3 Millionen Mark zahlt die RTP-Werbetochter RTC für das Recht auf Weiterverkauf der Werbeflächen im Stadion. Das noch fehlende Geld besorgte sich de Brito vom Spielcasino Estoril. Aber nicht am Spieltisch. Das Casino zahlte, weil die Benfica- Spieler auch in den kommenden drei Spielzeiten für die Edel-Zockerei Reklame machen.

Der Deal war perfekt. Gil y Gil bekam die Ablöse, und Futre, Herz hin oder her, unterschrieb bei Benfica. Jorge de Brito gab sich lässig: Dies sei keineswegs das beste Geschäft seines Lebens. Als Unternehmer mache er seit langem erfolgreiche Geschäfte. „Diese Erfahrung gibt mir die nötige Ruhe und Gelassenheit, um innerhalb von 48 Stunden eine Finanzoperation zustande zu bringen, die es ermöglicht hat, daß Futre heute bei uns ist.“

Die Zeitung Independente war es schließlich, die die Umstände dieser „Finanzoperation“ an die Öffentlichkeit brachte. Und dann war es mit Ruhe und Gelassenheit vorbei. Fernsehchef Monteiro de Lemos mußte seinen Hut nehmen. Denn, so Informationsminister Marques Mendes, die staatliche Firma RTP sei kein Unternehmen zum Kauf von Fußballern. Benfica-Präsident de Brito will den Vertrag mit dem Fernsehen nun rückgängig machen und das Geld „auf andere Weise“ besorgen. Die öffentliche Kritik hat ihm wohl den gesunden Menschenverstand zurückgegeben.

Denn so gut war das Geschäft auch wieder nicht. Zwar bekam Benfica schnell das benötigte Geld. Doch unter normalen Umständen hätte RTP doppelt soviel für die Übertragungsrechte zahlen müssen. Monteiro de Lemos versteht seine Entlassung nicht. Schließlich habe doch das Fernsehen das beste Geschäft gemacht.

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