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Plenzdorf und die Terroristen

■ RAF-Aussteiger Werner Lotze über den ZDF-Film "Vater Mutter Mörderkind" vom 1.2., 19.25 Uhr

Der Film ist in zweierlei Hinsicht ärgerlich. Zum einen wegen der Art von Realität, die geschildert wird, zum anderen – was wichtiger ist – wegen der Personen, die den Film gemacht haben. Auch wenn Julius und seine Familie fiktive Figuren sein sollen, hat Ulrich Plenzdorf den Anspruch, eine vorstellbare Situation zu beschreiben. Nur: Möglich ist vieles, real wird es dadurch noch lange nicht. In der Konstruktion der Familie des Ex- Terroristen Julius ist etwas von jedem der Ausgestiegenen: Die Stadt Schwedt, einer, der gemordet hat, die Ehe mit einer DDR- Bürgerin, der Rausschmiß aus der Arbeit, die Angriffe auf die Kinder. Das gab es alles, doch Plenzdorf will es in einer Familie zusammenbringen, und da wird es falsch.

Unsere Situation war anders. Sie war die Situation von Leuten, die zehn Jahre in der DDR gelebt und gearbeitet haben. Eine Zeit, in der sehr tragfähige soziale Bindungen gewachsen sind, die eine Isolation – wie sie in dem Film beschrieben wird – nicht entstehen ließen. Deshalb war auch die Reaktion der Kinder grundsätzlich anders. Da war der Schrecken über die Verhaftung und daß plötzlich jemand verschwunden war, die Fragen nach dem Warum. Die Konstruktion, daß der Junge zehn Jahre Beziehung zu seinem Vater beiseite schiebt und sich mit etwas identifiziert, was er weder kennt noch gut finden kann, ist irreal.

Gestimmt haben nur zwei Dinge: die Angst, zehn Jahre Zeit des Neuanfangs in der DDR zu verlieren, auf etwas zurückgeworfen zu werden, was wir früher waren, und die Erkenntnis, daß „eine Sache tot ist, wenn es dabei Tote gibt“.

Diesen Film hätte jemand aus dem Westen machen können – oder Freya Klier oder Konrad Weiß. Jemand, für den DDRler sowieso zu blöd sind, denen Mielke, laut Bild, sogar die „RAF-Mörder“ unterschieben konnte, oder der die DDR nur noch zur Profilierung und Selbstbestätigung benötigt. Doch nicht Regisseur Heiner Carow und erst recht nicht Autor Ulrich Plenzdorf, dessen Romane in der Sozialisation vieler DDR- Bürger eine wichtige Rolle gespielt haben. Darin vermittelt er Offenheit und Leichtigkeit, auch die Möglichkeit zu Individualität und Originalität, in der das steckte, was in dieser DDR möglich sein müßte und würde. Weil Plenzdorf jemand ist, von dem viele erwarten, daß er eine DDR-Realität darstellt, wie sie auch die unsere war.

Deshalb habe ich von ihm erwartet, daß er seine Fiktion aus realen Bedingungen heraus entwickelt. Daß er zeigt, daß die Kinder 1990 die einzigen Unschuldigen waren, und daß es bei allem, was dann folgte, auch darum ging, nicht noch einmal Politik auf Kosten Unschuldiger zu machen. Und wie die Kinder es geschafft haben.

Wer glaubte, etwas über unsere Geschichte zu erfahren, den muß ich enttäuschen. Doch auch eine Fiktion müßte die Möglichkeit zu Realem enthalten. Werner Lotze

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