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Wohncontainer für Junkies rechtens

Gericht segnet Absicht Bremens ab, auf einer von einer Bürgerinitiative aus Protest besetzten Wiese Container für 25 obdachlose Junkies aufzustellen/ BI gibt nicht nach  ■ Aus Bremen Markus Daschner

„Wenn man soviel Recht bekommt, da kann man fast schon einen roten Kopf kriegen.“ Bremens Baustaatsrat Jürgen Lüthge platzte vorgestern fast vor guter Laune. Das Oberverwaltungsgericht der Stadt hat denjenigen Bürgern des Stadtteils Oberneuland, die sich seit Monaten gegen Wohncontainer auf der Fohlenwiese wehren, eine saftige Abfuhr erteilt. Die Bebauung der Wiese mit Wohncontainern für 25 obdachlose Drogenabhängige ist rechtmäßig, bestätigte der 1. Senat des OVG jetzt in einer Eilentscheidung. „Damit sind die Würfel für die Wohncontainer juristisch gefallen“, meinte Lüthge.

Die Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht trifft die Oberneulander bis ins Mark. In jedem Punkt bestätigte das OVG die Vorinstanz, gegen die die Besetzer Beschwerde eingelegt hatten. So sei die Aufstellung von Containern zwar im gültigen Bebauungsplan nicht vorgesehen, jedoch sei „die Abweichung vom Bebauungsplan (...) auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen (...) mit den öffentlichen Belangen vereinbar“. Nächster Stachel für die Oberneulander: Die Baugenehmigung sei auch dann rechtens, wenn der Behörde Standortalternativen zur Verfügung stehen, „dringender Bedarf an Unterbringungsplätzen ist in Bremen gegeben“. Und auch soziales Interesse der Oberneulander an Drogenabhängigen ließ der 1. OVG-Senat nicht durchgehen: „Mit der Argumentation (...), Drogenabhängige gehörten in eine medizinische Behandlung, nicht in eine Obdachlosenunterkunft, läßt sich die Notwendigkeit der Obdachfürsorge nicht verneinen.“ Und noch einmal – Patsch – auf die Ohren: „In diesem Zusammenhang muß betont werden, daß das Bestreben der Stadtgemeinde, soziale Belastungen jedenfalls in Ansätzen auf das Stadtgebiet zu verteilen und übermäßigen Belastungskonzentrationen in einzelnen Stadtteilen entgegenzuwirken, eine vernünftigerweise gebotene Handlungsmaxime ist.“

Derzeit ist die Wiese immer noch von fünf Wohnwagen besetzt, eine „Stallwache“ rund um die Uhr soll die Bürger bei anrückenden Baufahrzeugen alarmieren. Reinhard Gößler von der Bürgerinitiative: „Wir wollen uns mit dieser Entscheidung nicht zufriedengeben. Wir werden weiter auf der Wiese bleiben und es darauf ankommen lassen, daß sie uns runtertragen. Aber wir rechnen nicht damit.“ Die Bürgerinitiative stehe mit dem Sozialressort in Verhandlung um Alternativ-Standorte. „Solange diese Verhandlungen andauern, wird der Senat nichts unternehmen.“

Rückendeckung liefert den Anwohnern Rechtsanwalt Rolf Salmon, der einzelne Oberneulander vor dem OVG vertrat: „Begeistert bin ich nicht von der Entscheidung, aber man muß sehen, daß das Gericht erst das Eilverfahren entschieden hat. Die Widersprüche gegen die Baugenehmigung sind noch nicht verhandelt worden.“ Formal wird jetzt die Baubehörde über die Widersprüche gegen die Baugenehmigung entscheiden. Dagegen können die Oberneulander dann wieder vor das Verwaltungsgericht ziehen.

Gestern war das OVG-Urteil Thema in der Senatssitzung. Der Senat sei mit dem Urteil zufrieden und habe eine „baldmögliche Belegung“ der Fohlenwiese mit Wohncontainern angeordnet, erklärte die Sprecherin des Sozialressorts, Andrea Frenzel-Heiduk. „Sobald die Witterungsverhältnisse es zulassen, soll mit den baulichen Vorbereitungen begonnen werden.“ Viele Oberneulander haben mit der Besetzung der Fohlenwiese das erste Mal den Rubikon zur Illegalität überschritten. Nach der OVG-Entscheidung werden sie jetzt von der Furt in die Tiefe gestürzt: „Wenn sich die Besetzer der Wiese nicht einsichtig zeigen und die Arbeiten der Bauleute behindern, wird die Polizei tätig werden“, kündigte die Sprecherin des Innensenators Merve Pagenhardt an. Im Klartext: Die Oberneulander werden geräumt, wenn sie nicht freiwillig gehen. Markus Daschner

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