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Archäologie der Differenz

■ Die Kunsthalle zeigt anläßlich der Mediale Künstlervideos aus dreißig Jahren

aus dreißig Jahren

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2å Während die Mediale als funkelnde, flimmernde Party der Bildschirme begonnen hat, steuert die Kunsthalle den historischen Hintergrund bei: ein dreitägiges Marathon

1im Kuppelsaal und im Foyer präsentiert die wichtigsten Werke der fast dreißigjährigen Geschichte der Videokunst in einer Auswahl von Frank Barth und Annelie Lütgens.

Die ersten Experimente mit Videotapes der späten 60er und frühen 70er Jahre erscheinen im Licht von Musikvideos und Terminator- Tricks heute antiquiert. Dabei waren die damaligen Künstler die Pioniere dieser Technologien. Der Amerikaner Peter Campus etwa erprobte 1973 das Blue-Box-Verfahren, das heute in jeder Fernsehsendung angewendet wird. Diese Videokünstler der ersten Stunde (etwa Nam June Paik, Rolf Vostell, Richard Serra oder Bill Viola), die den Boden für die heutige Medienkunst ebenso geebnet haben, wie für die Musikvideoästhetik, füllen den heutigen ersten Abend, während der zweite (mit Arbeiten von Beuys, Paik, Campus, Rebecca Horn, Marina Abramovic u.v.a.m.) allgemein dem Performancevideo gewidmet ist.

Mit Erstaunen wird oft aufgenommen, daß das Medium keineswegs ein Erfindung der Nachkriegszeit ist: Die elektronische Kamera wurde bereits 1931 erfunden und war das Lieblingsprojekt Hermann Görings, der sich davon entscheidende Fortschritte für den Luftkrieg erhoffte. Mit sogenannten „Closed circuit“-Installationen, interaktiven Systemen, die den Betrachter mit einbezogen, artikulierten sich schon die ersten Videokünstler wie Bill Viola zu den mit Überwachung verbundenen Machtstrukturen.

Im Zentrum der Videokunst stand in den 70er Jahren aber die Auseinandersetzung mit dem Fernsehen als Massenmedium. Richard Serras Tape „Television Delivers People“ ist dafür exemplarisch: Nach Art einer Programm-Vorschau flimmern sechs Minuten lang aufrüttelnde Sätze, die den Betrachter über seine passive Rolle aufklären sollen, über den Bildschirm.

Die „historischen“ Videotapes haben einen besonderen, positiven Begriff von Langeweile als Kontemplation gemein. Dieser sei noch heute aktuell, so Barth, als möglicher Gegenbegriff zum Entertainment der schnellen Schnitte.

Eine derartige „kontemplative Unterhaltung“ hat die Hamburger Gruppe Raskin, die neben dem Berliner Künstlerpaar Dellbrügge/De Moll den Sonntag gestaltet, in ihren Arbeiten entwickelt. Die schlichten Arbeiten von Raskin, deren harten Kern die Filmemacher Andreas Coerper und Rotraud Pape bilden, thematisieren die Beliebigkeit der Medien, die zu oberflächlichen Posen führt. In der medialen Welt, die verschiedene Dinge gleich macht oder gleich erscheinen läßt, betreibt die Gruppe eine Archäologie der Differenz. Unter anderem wird ein unmittelbarer Beitrag zur Mediale gezeigt. Ein Film über Besucher der Kunsthalle. Er wird willkürlich mit todernst vorgetragenen Beobachtungen unterlegt, so daß sich sowohl Komik als Schärfe ergibt: Eine Arbeit über Seh-Kultur, die auch als Kommentar zu einem Festival gedacht ist, das einer Welt schnellen Schnitte lediglich ein Spektakel der schnellen Schnitte hinzufügt. Julia Mummenhoff

5.2.: 11-15 Uhr, 6.2.: 11-18 Uhr, 7.2.: Raskin: 11-14 Uhr, Dellbrügge/De Moll 14-18 Uhr

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