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Von Grünflächen zerschnittene Kugel

Am besten dekorativ zu nutzen: Berlin in Plänen. Berliner Stadtkarten von 1798 bis 1990  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Stadtpläne haben, wenn sie nicht unmittelbar praktischen Zwecken dienen und einem helfen, sich zurechtzufinden in einer fremden Stadt, fast immer etwas autoritär Unsympathisches. Denn die ungebrauchten Stadtpläne entleeren die Stadt, in der man selber lebt, von den Geschichten, die man in ihr erlebt. Stadtpläne an den Wänden signalisieren den Besitzanspruch an eine Stadt. Sie hängen vor allem in den Institutionen und Machtzentren: in militärischen Befehlszentralen, in Polizeirevieren, im Zimmer des Bürgermeisters, in Parteibüros oder auch Zeitungen. Die Karten sollen suggerieren, daß man die Stadt unter Kontrolle hat.

Die sechs historischen „Berliner Stadtkarten von 1798 bis 1990“, die der Argon Verlag herausgegeben hat, kann man sich am besten im edel getäfelten Empfangszimmer des Bundespräsidenten oder Bürgermeisters vorstellen. Lehrreich dokumentieren die historischen Pläne die Geschichte des mehr oder weniger kontrollierten Wachstums der Stadt und ihres Zusammenschlusses – von der Doppelstadt Berlin/Cölln, deren Geschichte sich bis Ende des 13.Jahrhunderts zurückverfolgen läßt, über die Eingemeindung der vormals eigenständigen Städte Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Schöneberg, Neukölln, Spandau, Wilmersdorf 1920, mit der Berlin über das größte Stadtgebiet der Welt verfügte, bis zur Jetztzeit. In einer 16seitigen Mappe liegen die Blätter lose, auf festem Papier gedruckt. Die Stadt(plan)geschichte wird sicher kenntnisreich von Michael S. Cullen und Uwe Kieling zusammengefaßt. Letztendlich ist das jedoch (dafür können die Autoren nichts) so trocken und allgemein wie die Rede des fleißigen Schülers, der vom Lehrer aufgefordert wird, anhand verschiedener Karten unterschiedlicher Zeiten politische oder wirtschaftliche Veränderungen der Stadt zu erläutern. Kann der Schüler zu den offiziellen Stadtplänen auch die sich immer objektiv gerierende Geschichte ihrer Wirtschaft, Politik, Stadtplanung repetieren, so ist sie für den an guten Zensuren nicht interessierten Beobachter eher langweilig.

Interessanter ist es da noch, die Pläne schlicht als dekorative Bilder zu nehmen, die ein Thema im Lauf seiner Geschichte variieren und die als Nachdrucke über die eigene, materielle Geschichte verzichten (anders als tatsächlich alte Karten in alten S-Bahnhöfen). Das bietet sich auch deshalb an, weil sich viele der kleingedruckten Namen auf den Plänen selbst mit Lupe kaum lesen lassen.

1798 ist Berlin noch wie eine von Grünflächen zerschnittene Kugel, bis 1900 ist Berlin eine Art Ei, dessen spitze Seite nach Südosten weist. Danach ufert es aus oder platzt und durchdringt seine Umgebung. Auf dem Plan von 1798 ist Berlin noch ziegelrot, 1857 sind seine bebauten Flächen blutrot auf schweinchenrosa Grund; die Kartenbeilage zum Adreßbuch für Berlin von 1902 zeigt die Stadt in recht angegrauten Farben und scheint eher blutarm. 1944 läßt sich mit ein wenig Phantasie der von den S-Bahn-Linien gebildete sogenannte „Hundekopf“ erkennen; rot sind nur noch die S-Bahnhöfe – in Wirklichkeit datiere der Plan von 1939, wissen die Autoren, und sei eine Art politische Fälschung, denn viele der noch eingezeichneten Straßenzüge wären längst kaputtgebombt gewesen. Im Plan des DDR-MDI von 1951 dominiert das Grau; zum bestimmenden Merkmal der Jetztzeit wiederum sind die hoffnungsfroh orange gehaltenen Hauptstraßen geworden. Rot sind nur noch die Autobahnen. Ein Essay über die farbliche Gestaltung von Stadtplänen wäre recht anregend; in ihrer Allgemeinheit sind die Pläne jedoch eher trostlos anzuschauen, da sie die Stadt unter keiner bestimmenden Perspektive – Topographie des Terrors, Bevölkerungsdichte, Mietspiegel, Wahlverhalten, Stadtplanung etc. – zeigen. Wirklich interessant sind vielleicht nur Pläne, die Spuren der Benutzung tragen, die das Allgemeine mit dem Besonderen verbinden, wie eine Karte, auf der man die eigenen Wege einzeichnen würde, oder eine Karte, die man sich vorstellt und die so ähnlich funktionieren würde wie ein Adventskalender.

Berlin in Plänen, Berliner Stadtkarten von 1798 bis 1990. Mit einem Begleittext von Michael S. Cullen und Uwe Kieling, Argon Verlag 1992 (erweitert und aktualisiert), Mappe, 58 Mark.

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