: „Der Nervenkitzel ist ein zentrales Motiv“
■ Interview mit Rüdiger Bredthauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Landes- polizeidirektion Hamburg, über Gewalt gegen Schwächere als Mittel zur Selbsthilfe
taz: Herr Bredthauer, warum werden neben AusländerInnen vor allem Angehörige von Randgruppen Opfer rechter Gewalttäter? Spielt dabei die Hilflosigkeit von Obdachlosen eine Rolle?
Bredthauer: Obdachlose gehören zu den Schwächsten dieser Gesellschaft. Ihre Wehrhaftigkeit gegenüber gewalttätigen Übergriffen ist vergleichsweise gering. Aus der Perspektive der Täter sind sie leichte Opfer. Entsprechend gering ist aber das szenenspezifische Renommee derartiger Aktionen. Auch der „Thrill“ ist relativ gering.
Heißt das, die Täter suchen den Nervenkitzel? Statt sich einen Mord im Videofilm anzugucken, schlagen sie lieber selbst einen Menschen tot?
Der Thrill, der Nervenkitzel, ist ein zentrales Motiv. Jede Gewaltaktion ist mit einem Reality-Kick verbunden und für die Akteure wesentlich reizvoller. Allerdings ist der Thrill bei rechten Gewalttaten mit größerem Situationsrisiko wesentlich höher als bei Überfällen auf Obdachlose. Bei Obdachlosen funktionieren auch die gewaltbegrenzenden Mechanismen nicht so recht. Sie werden wohl deswegen oft gleich totgeschlagen, weil der Täter nicht wachsam sein muß. Der Thrill kommt hier durch die dramatisch überzogene Gewalt.
Wenig Thrill, aber viele Angriffe auf Obdachlose. Wie kriegen Sie das zusammen?
Für den potentiellen Akteur macht es keinen Sinn, sich mit einem Stärkeren anzulegen. Dann würde er ja nicht seine Macht und den Profit von Gewalt erleben, sondern eine Abreibung. Außerdem muß man generell sagen, daß die, die angegriffen werden, von einem erheblichen Teil der Bevölkerung als Bedrohung des erreichten materiellen Niveaus beziehungsweise der materiellen Perspektiven wahrgenommen werden.
Das trifft auf Schwule nicht zu.
Daß auch Homosexuelle angegriffen werden, verweist auf psychosoziale Defizite der Täter. Ihre gravierende Ich-Schwäche führt sie zunächst in lose Cliquen, die ähnliche Symptome aufweisen, die einerseits Orientierung und Unterstützung bieten und in denen andererseits Gewalt das wichtigste Kompensationsmittel für persönliche Probleme darstellt.
Gewalt als Therapie?
Der Täter profitiert, weil er mit Gewalt seine diffus als problematisch erfahrene Situation — subjektive Erfahrung von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Orientierungslosigkeit — ohne sonstige Leistungen quasi aus dem Stand heraus aktiv verändern kann. Er erfährt Macht und Gruppenanerkennung. Er erlebt Gewalt als Mittel subjektiv erfolgreicher Selbsthilfe. Dies macht die Bedeutung und Attraktivität von Gewalt aus. Hier muß auch die Intervention ansetzen.
Wo bleiben bei Ihrer Theorie die politischen Motive? Schließlich begründen die Täter ihre Verbrechen oft genug mit rechtsextremer oder rassistischer Gesinnung.
Wenig hilfreich scheint mir die gängige Kategorisierung der Täter als gewissenlose Neonazimonster. Das behindert die notwendige Ursachenanalyse und die Suche nach effizienten Interventionsstrategien. Ich halte auch die momentane Fixiertheit vieler Linker und Liberaler auf die repressiven Instrumente von Polizei und Justiz für sehr problematisch. Eine monokausale Reduzierung des Problems auf ein alles bestimmendes politisches Motiv wird dem Phänomen nicht gerecht. Das stabilisiert die Täter nur in ihrer rechten Einstellung. Der Identitäts- und Orientierungsgewinn durch rechtsextreme Denkfiguren und Argumente wird dann zunehmend als Teil der eigenen Persönlichkeit akzeptiert.
Wo sehen Sie die psychosozialen Defizite der Täter?
Polizeibeamte berichten aus Vernehmungen verstärkt von erschreckenden Defiziten sozialer Kompetenzen. Mitleid und Menschlichkeit gilt als „megaout“, gefühllose Brutalität ist „in“. Dies könnte als zwangsläufige Konsequenz gravierender gesellschaftlicher und politischer Fehlentwicklungen interpretiert werden. Aus kulturpessimistischer Perspektive ließen sich die Gewalttäter als Vorboten des Übergangs von der Ellenbogen- zur Wolfsgesellschaft interpretieren.
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