■ Gastkommentar: Galgenfrist für Klöckner
GASTKOMMENTAR
Galgenfrist für Klöckner
Schlimmer hätte es nicht kommen können. Klöckner wird mit Bremer Steuergeldern saniert. Der Blinde hat den Lahmen untergehakt, gemeinsam schleppen sie sich in Richtung des nächsten Hafenbeckens — bitter!
Für Bremen wäre ein schneller Tod der Hütte besser gewesen, denn daß dieser Tod trotz Vergleich und Subventionen bald kommen wird, ist gewiß. Die Klöckner Hütte in Bremen war von Anfang an eine Fehlinvestition und hatte nie nennenswerten Gewinn abgeworfen. Die Schulden Klöckners sprechen eine eindeutige Sprache. Die inzwischen nicht mehr besonders moderne Hütte in Bremen samt der Warmwalze ist zu groß, verschlingt bei ständiger Unterbelastung immense fixe Kosten und würde nur mit Dumpingpreisen eine technisch optimale Auslastung erreichen.
Stahl ist ein doofes Produkt. Stahl kochen und walzen kann inzwischen jeder Depp und selbst dort, wo Stahl und Bleche in einem Produkt noch eine Rolle spielen, sinkt deren Wertanteil im Produkt seit Jahren. Eine Hütte am Meer, wie es immer so schön heißt, hätte dann eine Chance, wenn gigantische Werftkapazitäten einen nennenswerten regionalen Markt böten. Doch auch Schiffe können schon lange andere genau so gut und vor allem billiger bauen, und der Markt für Kriegsschiffe wird nach Ende der Blockkonfrontation auch nicht gerade boomen.
Bleibt die Bauindustrie als größerer Abnehmer, doch im Gegensatz zu Hamburg boomt Bremen nicht, und Bauunternehmen ordern regional. Welche Nachfrage soll also die Bremer Hütte in Zukunft auslasten angesichts einer Rezession, die die nächsten drei bis vier Jahre die Stahlindustrie beuteln wird?
Wer am Ende der ungewöhnlich langen Kohlkonjunktur und des Wiedervereinigungsbooms sofort Vergleich ermelden muß, dem ist mit lumpigen 20 Millionen nicht zu helfen! Für eine soziale Abfederung der Schließung wäre das Geld besser investiert.
Nun könnte man argumentieren, daß mit einer Galgenfrist für die Hütte von zwei gewonnenen zusätzlichen Jahren einige Bremer mehr die Frühverrentung erreichen werden. Doch in diesem Argument verbirgt sich die ganze Bremer Tragödie, die da heißt: Laßt uns der Versorgung entgegendämmern!
Bremen ist deswegen so unglaublich pleite, weil die regierende Sozialdemokratie immer noch geprägt ist von einem industriellen Arbeitskult. Die „linke“ Bremer SPD läuft dem industriellen Traum seit Jahrzehnten hinterher — auf der Jagd nach ihrer Vergangenheit, in der Bremen verhaftet bleibt. Die paar Bremer Beamten-Intellektuellen in der SPD reflektieren diese Katastrophe meist noch als Proletkult. Altstalinist und Betriebsvorsitzender Sörgel ist in diesen Kreisen ein angesehener Mann. Bremen wurde so unter der lahmenden Knute der Dreiheiligkeit aus ITM, ÖTV und SPD zu einem muscalem Arbeitssoziotop und verpasst schon ewig den Weg in eine moderne Dienstleistungsmetropole. Ein schnelles Ende der Hütte hätte in diesem antiquierten Soziotop die Nahrung genossen. Es wäre der Stadt zu gönnen gewesen! Jo Müller
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