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Stalinistische Grotesken

„Fremd unter meinesgleichen“ – Die Autobiographie des Dresdener Juden Helmut Eschwege  ■ Von Horst Seferens

Nach allem, was der kürzlich verstorbene Dresdener Historiker Helmut Eschwege in der DDR erlebt hat, verwundert es schon ein wenig, daß er die dort verbrachten vierzig Jahre seines Lebens „mit all ihren Höhen und Tiefen nicht missen möchte“.

Denn als Jude und Sozialist war Eschwege, der 1946 voller Hoffnung aus der Emigration in Palästina in die sowjetische Besatzungszone kam, in doppelter Weise „Fremd unter meinesgleichen“, wie der Titel seiner Lebenserinnerungen lautet: Als Jude, der durch die Nazibarbarei ein neues Verhältnis zu seinem Volk gewonnen hatte, wurde er in einer antisemitischen Säuberungswelle, die nach dem Slansky-Prozeß 1953 auch die sozialistischen Bruderparteien ergriff, aus der SED ausgeschlossen.

In der kleinen jüdischen Gemeinschaft der DDR wiederum galt er als Querulant, da er immer wieder die Willfährigkeit mancher jüdischer Funktionäre gegenüber dem SED-Regime kritisierte.

Diesen Kampf um die Selbstbehauptung jüdischer Identität in der DDR schildert Eschweges Autobiographie. Davor verblassen Kindheit und Jugend des 1913 in Hannover Geborenen, den die religiöse Orthodoxie seiner Eltern abstieß. Früh schloß sich der Kaufmannslehrling der Sozialistischen Arbeiterjugend an.

Im Jahre 1934 mußte er Deutschland verlassen und gelangte über Dänemark und das Baltikum nach Palästina, wo er angesichts des dort herrschenden Bürgerkrieges eine explizite und kritische Haltung gegenüber dem Zionismus entwickelt hat und für einen Ausgleich zwischen den jüdischen und arabischen Interessen in der Region eintrat.

In der Hoffnung, Wegbereiter für befreundete Palästina-Emigranten zu sein, ließ Eschwege sich 1946 in Dresden nieder, bald stieg er in die SED-Landesleitung auf.

Seine Sammlung über die deutsche Arbeiterbewegung wurde zum Grundstock des Museums für deutsche Geschichte in Berlin, wo Eschwege seit 1952 als Abteilungsleiter fungierte. Im Jahr darauf verlor er allerdings als „Westemigrant“ und „Kosmopolit“ – ein Tarnwort für den real existierenden Antisemitismus im Ulbricht- Staat – seine Stelle.

Akribisch breitet Eschwege das sich anschließende „Parteiverfahren“ vor dem Leser aus. In seiner Schilderung dieser stalinistischen Groteske, die aus einem Bulgakow-Roman abgeschrieben sein könnte, klingt immer noch Unverständnis und Verbitterung darüber nach, daß ihm seinerzeit keine Gerechtigkeit widerfahren ist. Daß es darum offensichtlich gar nicht ging, scheint dem Autor undenkbar. „Wie ein Berserker“ kämpfte Eschwege fünf Jahre lang um seine Wiederaufnahme in die Partei, doch vergebens: 1958 wurde der „endgültig entlarvte Parteifeind“ aus der SED ausgeschlossen und mußte fürchten, jeden Augenblick „abgeholt“ zu werden. Damals faßte er einen Entschluß, der für sein weiteres Leben entscheidende Konsequenzen haben sollte: „Jetzt forsche ich über jüdische Geschichte.“

Unter großen Schwierigkeiten und gegen massive Behinderungsversuche der Behörden, die ihm den Zugang zu Literatur und Archiven verwehrten, schuf der Autodidakt Eschwege in unermüdlichem Fleiß ein beachtliches Werk zur jüdischen Geschichte, darunter den 1966 erschienenen Dokumentenband „Kennzeichen J“, der den DDR-Bürgern erstmals das System der nazistischen Judenvernichtung vor Augen führte.

Eschwege machte sich unbeliebt bei Staat und Partei, nicht nur durch seine Forschungen, sondern ebenso dadurch, daß er immer wieder in Eingaben an hohe und höchste Stellen, mit Artikeln in der jüdischen Presse des Auslandes und später auch bei öffentlichen Auftritten im Rahmen kirchlicher Veranstaltungen energisch gegen die antiisraelische Hetze in der DDR- Presse zu Felde zog. Dieses Engagement und sein Einsatz für den christlich-jüdischen Dialog wurde im Jahre 1984 schließlich mit der Buber-Rosenzweig-Medaille gewürdigt.

Das Manuskript seiner Memoiren schloß er vor dem Ende der DDR ab, so daß das antisemitische Zerrbild vom „Zionisten“ Eschwege, wie es die emsigen Behörden in den Stasi-Akten zeichneten, fehlt. Als er die Dresdener Stasi- Zentrale besuchte, staunte er nicht wenig, allein für die Jahre seit 1982 fünf dickleibige, mit „Der Zionist“ betitelte Bände über sich vorzufinden.

Beim Aktenstudium erfuhr er auch, daß seine Wohnung abgehört und mehrfach durchsucht worden war; manche abgefangene Postsendung fand sich, die ihn nie erreicht hatte.

In einem Abschlußbericht kam die Stasi 1984 zu dem Schluß, der damals 71jährige Eschwege sei ein „Feind der DDR“ und stelle einen „potentiellen Stützpunkt des Gegners“ dar. Das Manuskript seiner Autobiographie jedoch hatte Eschwege – der weiß, daß er kein großer Erzähler ist – vorsorglich in Sicherheit gebracht: Eine Zweitschrift war bei Freunden deponiert.

Helmut Eschwege: „Fremd unter meinesgleichen – Erinnerungen eines Dresdener Juden“. Christoph Links Verlag 1992, 34DM

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