Ungefährliche Maskerade in platter Grellheit

■ Premiere von Verdis Aida an der Hamburg Oper / John Dews Neon-Musical ist weder "politisch" noch gelungen

an der Hamburg Oper/ John Dews Neon-Musical ist weder „politisch“ noch gelungen

Als Anfang der Achtziger in der Popmusik New Wave auftauchte und mit Synthie-Pop und opulenter Schwülstigkeit das reinigende Gewitter des Punk zunichte machte, entwarfen pfiffige britische Designer ein dazugehöriges Ambiente. Neonröhren, eckige Formen und Leuchtfarben, die sich möglichst extrem beißen mußten, bildeten die plakative Norm, die schon damals als die achte Totsünde des guten Geschmacks empfunden werden konnte. War dieses Design, das bald darauf über Innnenarchitekten und Zeitschriften-Lay-Outer epochale Wirkung bekam und mit dem völlig hirnrissigen Titel „postmodern“ bedacht wurde, zum damaligen Zeitpunkt noch die organische Oberfläche einer kulturellen Sinnfrage, so ist die Verwendung in einer Operninszenierung des Jahres 1993 einfach nur noch Ausdruck allerschlechtesten Geschmackes.

John Dews Ausstattungscrew scheint davon nichts zu wissen. Das mit Spannung erwartete Bühnenbild für Verdis Aida entpuppt sich als perspektivisch verzerrtes Glashaus mit einem kantigen Monolithen (das Machtzentrum?) und metallischen Palmen, die als Deko im benachbarten Reisebüro nicht weiter aufgefallen wären. Manfred Voss Lichtdesign langt mit lila, rot und neongrün gleich zu Beginn ordentlich ins schrille Klischee, und das ist nicht etwa ein weiter Abschlag zur Eröffnung, von dem aus man sich zurückzuziehen gedenkt in weniger aufgeblasene Grellheit. Bis zum Schluß muß alles leuchten bis zur Erblindung und selbst vor Schwarzlicht-„Tricks“ schreckt der Stab des selbstausgerufenen „Aktualisierungs-Papstes“ nicht zurück.

Vielleicht empfindet es Dew als mutig oder künstlerische Brechung, daß er vor diesem Mallorca-Disco- Design die Sänger in Anzug, Kostüm und Offiziersuniformen (mal Bundeswehr, dann SS-Standarte) agieren läßt. Tatsächlich erhebt das die Wirkung der Beliebigkeit ins Konzepthafte. Von ausladenden politischen Ansprüchen, wie sie Dew vorab medienwirksam postulierte, blieben außer schartigen Provokationen mit vertauschten Etiketten, die nur das Parkett apportierte, nichts über.

Ganz im Gegenteil: Der Höhepunkt des zweiten Aktes, der Triumphmarsch, den er zu einem Pamphlet gegen den Krieg erklärte, stellt sich als eine dilettantisch choreografierte, musicalhafte Massenszene heraus, in der von Michael Jacksons Moonwalk über tuntiges Arschgewackel bis zu einem lächerlichen Rollstuhlfahrer-Ballett keine Albernheit verhehlt blieb. Der einsame „Helau“-Rufer aus den Rängen hatte nicht nur die Lacher, sondern auch einige empörte Zustimmung auf seiner Seite. Wenn man der Meinung ist, man muß, während Krieg in Europa herrscht, Witze über die Rückkehr der Überlebenden machen, dann sollte man es gütiger Weise mit den Mitteln der Satire und nicht eines unausgegorenen Broadways machen.

Oder ist es politisch, wenn Radames die Äthiopier mit einem Druck auf den Atomknopf eines Spielzeugkoffers besiegt (was diese später nicht daran hindert als quicklebendige Kriegsopfer aufzutauchen), wenn man die Priester Ägyptens einfach als Beamte charakterisiert oder dem König das Aussehen Pinochets gibt. Was Dew hier praktiziert ist eine ungefährliche Maskerade, über die sich nur das konservative Feuilleton begeistern kann.

Unter all diesen Effekten verschwindet die menschliche Komponente erst gänzlich, um nach der Pause alleinig in den Vordergrund zu treten. Hier finden sich zwar nun die gesanglich spannendsten Momente, aber eine Regie sucht man bis zum pathetischen Absenken des natürlich neonroten Hamburger Kriegerdenkmals als Radames und Aidas Grab vergeblich.

Von den Sängern überzeugte Michael Sylvester als perfekt-sauberer, aber unpersönlicher Tenor Radames und die herzüberlaufend singende Livia Budai als Amneris. Die Aida Maria Guleghina hatte dagegen sichtliche Probleme mit ihrer Partie. Eliahu Inbal dirigiert Verdis Spätwerk als Wanderung zwischen gejagten und übermäßig getragenen Momenten. Till Briegleb