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Fake-Ballett für Trucker und Video-Kids

Stelldichein der Profi-Catcher von der World Wrestling Federation  ■ Aus Berlin Harald Fricke

Sport mag im Verein mit Steffi Graf, Jürgen Klinsmann oder der Franzi van Almsick vielleicht am schönsten sein, doch erst bei Bret „Hit man“ Hart, dem Undertaker oder Papa Shango, Männer mit der Statur von Pandabären, kommen auch die Zuschauer richtig auf Touren.

Die World Wrestling Federation (WWF) geht auf eine clevere Geschäftsidee der Familie McMahon zurück, die vor etwa 30 Jahren im Nordosten der USA eine winzige Profiliga für Catcher gegründet hatte. Mehr als Konkurrenzunternehmen zu Zirkus oder Jahrmarkt denn als ruhmreicher Kampfsport gedacht, bietet der Zusammenschluß der wandelnden Kraftpakete mittlerweile weltweit Massenentertainment für all jene, denen die elende Gesundheitsshow der Klinsmänner und Co. auf die Nerven geht.

Die Deutschlandhalle zu Berlin ist engmaschig bestuhlt, an jedem Blockende wacht ein Wart von der Security über die eingepferchten Wrestling-Anhänger. Der Spaß kommt mit der Beschränkung, die aufgestaute Wut gegen die wenig menschenfreundliche Behandlung entlädt sich mit dem Einzug der Kämpfer. Feinde werden geboren. Im ersten Kampf stehen die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer hinter einem speckigen Ringer in Raumfahrerkostümierung, während sein Gegner, ein schöner Mann mit leuchtendrosa Schlüpfer und ordentlicher Fönfrisur, verschmäht wird. Nun müssen sich die beiden knapp eine Viertelstunde lang durchkneten, an den Haaren ziehen und auf die Aluminiumbohlen werfen, bis der Schiedsrichter den Kampf mitten in einem wohlplazierten Schultercheck abbricht. Der Sieger wird erwürfelt, zumindest hat der Alien in Blau absolut unverdient verloren. Das weiß auch das zeternde Publikum, dessen Aggressionsstau mit dem ungerechten Urteil von neuem einsetzt.

Es soll noch weiter wüten. Im folgenden Kampf liefert sich der tätowierte 360-Pfünder BamBam Bigelow einen Fight mit dem Big Boss Man, einem knapp zwei Meter großen Cop aus Georgia, der sich als Gesetzeshüter durch die Liga prügelt. Sein Schlagstock kommt nicht zum Einsatz, dafür boxt sich der Bulle gleich zu Beginn mit furiosem Stil in die Herzen seiner Fans. Nach vier harten rechten Faustschlägen zwischen Kinn und Schlüsselbein wirft der Big Boss den speckigen Kompaktbiker aus dem Ring, und außerhalb des Geheges geht es nicht minder roh weiter.

Doch der Kampf droht zu kippen, schon wird der Big Boss mit einem Tritt unterhalb des Hüfthalfters aus der Biokurve geworfen. Plötzlich zahlt BamBam jeden Hieb heim, ohne daß der Bulle auch nur irgendeine Gegenwehr zeigt. Wahrscheinlich wird er unter den Kopfnüssen des vermeintlichen Rechtsbrechers sterben müssen, wäre da nicht ein zehnjähriger Elvis-Imitator in Südstaatenmontur, der den Gesetzeshüter aus der ersten Reihe heraus unermüdlich anfeuert. Unter den Anfeuerungsrufen erholt sich der Cop wieder. Fast wie im Videospiel wird ihm noch ein zweites Leben geschenkt. Doch mit der Zeit sehen beide Kämpfer wie geschundene Kreaturen aus, die immer länger verkeilt auf der Matte verweilen. Als das Nahkampfkrabbeln dann endlich abgebrochen wird, hat natürlich der Biker gewonnen. Es ist faszinierend, wie übel dem Publikum nun schon seit einer halben Stunde mitgespielt wird. Man läßt die Helden verlieren, man enttäuscht jeden Allmachtstraum der Moral, man tritt die schon genug gebeutelte Proletenseele mit Füßen. Und das Publikum winselt vor Begeisterung. Keine Frage, vor der Bühne wird mehr gelitten als dort oben zwischen den Seilen.

Dann kommt ein Kampf mit Fesseln, zwischen dem Sado-Yuppiepärchen Money Inc. und zwei Pseudopunks namens Nasty Boys, deren schwere Nietenstiefel vorne weich wie Arche-Schuhe abgerundet sind, damit ihre Tritte dem Broker in spe nicht allzusehr an die Nieren gehen. Vielmehr richten sich fast alle Ringer nach getaner Arbeit freundlich gegenseitig wieder auf, kraulen sich am Ohr oder wuscheln im Haarschopf des anderen herum. Die leicht debilen Bushwackers-Vettern aus Neuseeland lecken sich sogar fröhlich die Halbglatzen ab. Selbst wenn der Undertaker quer durch den Ring fliegt und mit dem Schulterblatt am Innenpfosten der Umrandung hängenbleibt, erinnert der Kampfakt mehr an lustig hingekritzelte Splattercartoons mit Bugs Bunny oder Elmer Fudd als an die real gebrochenen Knochen, auf die Bruce Lee einst einhieb.

Wahrscheinlich ist am Wrestling einzig das Nicht-Treffen eine Kunst. Das Fake-Ballett für Truckerfahrer und Video-Kids versucht mit gezielten Schlägen ins Leere zu schlagen. Ansonsten wäre nämlich der Kampf zwischen Papa Shango und dem Undertaker spätestens beendet gewesen, als der afrokaribische Voodoo-Catcher dem Bleichgesicht einen Stuhl auf dem Schädel zerprügelt hatte.

Verletzungen trägt keiner davon, ein wesentlicher Unterschied zum richtigen Leben. Während die Körper der eingeölten Warriors zwar fleischig, aber makellos gepflegt erscheinen und nur von einigen ausgewählt häßlichen Tattoos geschmückt werden, ist fast jeder dritte Zuschauer von tiefen Narben im Gesicht für die Ewigkeit gezeichnet.

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