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Mafia und Politik in SizilienDer künstliche Bürgermeister

Ein unpopulärer Job: Politiker im sizilianischen Riesi werden verhaftet oder erschossen. Jetzt hat sich ein österreichischer Künstler zum Bürgermeister ernannt.

Uwe Jäntschs weißer VW-Bus schleppt sich knatternd durch die Landschaft. Grüne Berge, grüne Täler, eine eigenartige Steinpyramide, die hier alle nur den Käseberg nennen. Neben dem Künstler sitzt eine Schildkröte namens Othello, und neben der Schildkröte namens Othello sitzt Costanza Lanza di Scalea, seine Freundin, Muse und Managerin. Der Bus passiert die Ruinen griechischer Tempel, sprudelnde Kläranlagen und zwanzigstöckige Mietshäuser aus bröckelndem Beton. Auch das Straßenschild nach Riesi. Es hat ein Einschussloch.

Ein fauliger Geruch zieht durch die undichten Fenster des Wagens. Am Straßenrand tauchen Beton- und Eisenreste auf, die Fragmente einer alten Mine. Sie war einmal das Herz der Stadt Riesi. Die Mine produzierte den Schwefel für ganz Europa, sie brachte Geld und Menschen in die Stadt, und auch Mussolini kam vorbei und lobte das Werk für seine Arbeit. Die Mine quälte und tötete die Einwohner von Riesi aber auch.

Das Thermometer zeigt 32 Grad. Ein voll besetzter Jeep fährt auf die Brache. Ein türkiser Fiat Panda folgt im Schritttempo. Die Männer blicken aus ihren Autos. Die Männer grüßen herüber. Die Männer fahren irgendwohin. Vor ein paar Jahren exekutierte die Mafia acht Carabinieri auf dem Gelände, die Geschäfte in der stillgelegten Mine laufen seitdem wieder gut.

Ein paar Kilometer weiter liegt die Stadt Riesi, ein schmutziger, sandfarbener Kuhfladen über einer Hügelkette aus saftigem Grün. Die ersten Menschen, die hier vor 350 Jahren lebten, waren angeblich Strafgefangene, das größte Gebäude das Gefängnis. Der Geschichte, egal ob die nun stimmt oder nicht, bleibt die Stadt bis heute treu. Es gibt kein Krankenhaus, kein Hotel, keine höhere Schule. An der Ortseinfahrt steht das Denkmal für die Mine und daneben eine wuchtige, umzäunte Polizeistation.

Mit der Politik ist es wie mit Mangos. Oder irgendeinem anderen Obst, das im Klima des Schwefeltals nicht überlebt. Seit drei Jahren hat die Stadt keinen Bürgermeister und wird kommissarisch von sizilianischen Beamten verwaltet. Fragt man die Einwohner, warum das so ist, erhält man von jedem dieselbe Antwort. "Ach, weißt du, da war irgendwas mit der Mafia." Früher herrschten hier wenigstens noch die guten Paten, sagen die Menschen. Die Paten, die ihnen Arbeit, Ordnung und Gerechtigkeit gaben. Typen wie der stiernackige Giuseppe Di Cristina, den sie auch den "Tiger von Riesi" nannten. Heute hilft keiner mehr irgendwem. In manchen Schulklassen soll ein Drittel der Väter im Gefängnis sitzen. Seit Benetton vor drei Jahren seine Fabrik geschlossen hat, haben die Einwohner endgültig resigniert. "Es gibt kein Leben in Riesi", sagt ein Junge. Er will weg, am besten in den Norden, nach Mailand oder Turin. Elisabeth Blank, die Direktorin der Christlichen Mission von Riesi, sagt, das größte Problem sei ihrer Meinung nach die Lethargie. "Vielleicht werden die Menschen in Riesi schon müde geboren, ich weiß es nicht. Jedenfalls haben sie noch nicht gelernt, dass sie selber das Subjekt der Geschichte sind." Ihr Koch, ein rundlicher Sizilianer, um dessen Hals schwere Goldketten hängen, pflichtet ihr bei: "Das Problem steckt in uns drinnen, wir sind es einfach gewohnt, schlecht dran zu sein."

Es wird Nachmittag auf der Hauptkreuzung von Riesi. Die Hitze lässt den Staub in die Höhe steigen. Eine Greisin mit Backenbart beargwöhnt aus ihrem Fenster den Verkehr. An der Ecke verkauft ein Straßenhändler Kettensägen, Feuerzeuge, Bolzenschneider und sonstige Haushaltswaren. Zwei Männer diskutieren mit ihm über den Preis eines Zielfernrohrs. Ein anderer umarmt einen Laternenmast, er singt den vorbeifahrenden Autos ein trauriges und wunderschönes sizilianisches Lied entgegen. Das dauert nur ein paar Sekunden. Dann ist es wieder still.

Plötzlich springt Uwe Jäntsch aus seinem VW-Bus. Seine blonden Haare sind unter einer schwarzen struppigen Perücke verborgen, über seinem Mund klebt ein falscher Oberlippenbart. Er läuft in die Mitte der Kreuzung und stellt sich auf ein Podest mit aufgemaltem McDonalds-Schriftzug. "Gra! Gra!", macht Uwe Jäntsch. Zumindest klingt das aus der Ferne so. Mit seinen langen Armen dirigiert er den Verkehr, lenkt die Autos und warnt die Fußgänger. "Troppo pericoloso! Troppo pericoloso!", ruft er einem Rentner zu. Der blickt verstört zu ihm herüber, wartet einen Moment und setzt dann seine Straßenüberquerung fort. Autofahrer hupen, einige rufen: "Uwe! Uwe!" Die alten Männer auf dem Bürgersteig klatschen in die Hände, ein grimmiger, echsengesichtiger Typ zeigt ein Lächeln. "Ey, Sindaco, ey Bürgermeister!", ruft ein auf seiner Vespa vorbeifahrender Junge Uwe Jäntsch zu.

Der falsche Bürgermeister ist wieder da, und alle haben es gesehen. Er verspricht den Menschen einen Flughafen, ein Schwimmbad, eine Feuerwache, ein Krankenhaus, ein neues Gefängnis, und er regelt ihren Verkehr. Das letzte Mal war er an Ostern in der Stadt. Er schüttelte Hände, verteilte Gratiswürstchen und ließ die Kinder seine Schildkröte füttern. Ganz Riesi war mit seinen Postern plakatiert: Perücke- und Bartgesicht, dazu Plastikblumen und der Slogan: Uwe ti ama, Uwe liebt dich.

Nach zehn Minuten kommt die Polizei. Fünf oder sechs Leute, einer der Carabinieri ist ein wichtiger Mann, er trägt goldene Epauletten und Kordeln. Sie riegeln die Straße ab und vernehmen Uwe Jäntsch. Ein Zuschauer behauptet: "Wenn es einen Mord gegeben hätte, wären die niemals so schnell aufgetaucht."

"Das war geil, eh", sagt Uwe Jäntsch später. Er meint die Verwirrung, den Aufruhr, die Leute. In seinem Heimatort Bregenz war so etwas noch relativ leicht zu erzeugen. Da zerkratzte er in einer Galerie Marienbildchen und alte Stadtansichten, machte eine Hakenkreuzperformance und die Stadt stand kopf. In Sizilien hätte er mit so was keine Chance. Riesi ist der so ziemlich letzte Ort, an dem sich irgendwer für Kunst und Galerien interessiert. "Ich habe keine Lust, eine Ausstellung zu machen. Da kommen zehn Leute und das wars dann", sagt Uwe Jäntsch. Er will mit den Menschen arbeiten. Am liebsten mit den Gescheiterten, Hoffnungslosen und Asozialen. Die Kunst muss zu ihnen kommen. Sie muss sie treffen wie ein Faustschlag ins Gesicht. "Meine Frage ist: Wie kann man eine Gegenenergie erzeugen, etwas, das wirkt wie eine Nadel, die man in einen Ballon voller Wasser piekst?"

Natürlich freuen sich nicht alle über Uwe Jäntsch, ab und zu wird er schon mal beschimpft. Angst vor der Mafia hat er deshalb nicht. "Da kommt ein Österreicher mit einem falschen Bart, spricht ein Scheißitalienisch und sagt, er ist der Bürgermeister. Die können so was doch gar nicht verarbeiten."

Am nächsten Tag warten die Polizeiwagen schon am Rande der schattigen Hauptpiazza von Riesi auf ihn, dort, wo die Rentner des Ortes ihren Spaziergang machen. In der Mitte des Platzes steht ein Grüppchen Jugendlicher in einem Kreis. Der Bürgermeister läuft mit erhobenem Plastikblumenstrauß auf sie zu. Die Rentner tuscheln und zeigen mit dem Finger auf ihn, die Jugendlichen schauen starr geradeaus. Uwe Jäntsch ist ganz still, sagt kein Wort. Als er ihre Mitte erreicht hat, bricht er wie von einer unsichtbaren Kugel getroffen zusammen.

Es war der letzte Auftritt des Bürgermeisters von Riesi. Uwe Jäntsch, die Schildkröte und seine Freundin machen sich in der Dämmerung auf den Weg in Richtung Palermo. Zwei Dinge bleiben in der Stadt zurück: eine Idee und ein Baum. Uwe Jäntsch hat die Jugendlichen überredet, seine Arbeit fortzuführen. Egal was, Hauptsache, es ist endlich Schluss mit Lethargie. Außerdem steht für alle Fälle im Warteraum des Notars von Riesi ein mit McDonalds-Schildchen und Uwe-Propaganda verzierter Tannenbaum bereit. Genau das richtige Symbol für die Bewohner von Riesi. Auf den Weihnachtsmann zu warten ist hier gar keine so schlechte Strategie.

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