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Das Motzkiprotokoll

■ Ist der Bürgerkrieg um die Fahrlehrer-Saga noch aufzuhalten?

Durch eine gezielte Indiskretion gelangte taz-Autor Henning Pawel in den Besitz eines Geheimprotokolls, dessen Inhalt die Redaktion sich nicht berechtigt sieht, ihren Lesern vorzuenthalten. Jenes Material, das unter dem Aktenzeichen M.P. (Motzkiprotokoll) als OGS, (oberste Geheimstufe) gekennzeichnet ist, behandelt nur eine einzige Frage: Wer ist der Frührentner und frühere Fahrlehrer Friedhelm Motzki und wer sind seine Hintermänner?

Protokoll der Sitzung des großen Krisenstabes im Bonner Kanzleramt. Anwesend das Kabinett, die Vorsitzenden aller Parteien und Fraktionen sowie die deutsche und Nato-Generalität.

Krisensitzung I, Kanzleramt

Beginn 1.30 Uhr. „Die Republik“, so der Kanzler, „befindet sich, dank Motzki, am Rande des Bürgerkrieges. Selbst die besonnensten deutschen Völker, allen voran die Bayern, beginnen sich, aufgehetzt durch den Hochverräter mit dem Montagsstuhlgang, nach jugoslawischem Vorbild zu organisieren und stellen bereits Milizen auf. Es bedarf nur noch eines Funkens, dann fallen die germanischen Stämme im Westen unseres Vaterlandes... “

Unterbrechung durch den Oppositionsführer: „... die wir ab sofort als motzkistisch bezeichnen müssen... “

Der Kanzler: „Meinetwegen motzkistisch, jedenfalls mehren sich die Stimmen selbst unter den als supervorsichtig bekannten Württembergern, für einen Feldzug gegen die neuen Bundesländer.“

Der Oppositionsführer (händeringend): „Aber warum nur?“

Der Kanzler: „Nach der ökonomischen soll nun die ethnische Säuberung stattfinden. Sachsen soll von den Sachsen und Thüringen von den Thüringern ethnisch gesäubert werden.“

Der Oppositionsführer: „Und die Leute drüben, machen die das mit?“

Der Kanzler: „Man steht im Osten der motzkistischen Herausforderung Gott sei Dank gelassen gegenüber. Die Männer dort haben sämtlich in der NVA gedient, sind damit Reserve zwo der Bundeswehr und werden sich zu wehren wissen. ,Macht alle ethnischen Westsau-bermänner zur Sau‘, lautet die Ostparole. Außerdem herrscht gerade im Osten unseres zukünftigen Bürgerkriegsgebietes die goldrichtige Meinung, ,wir haben einen Oberbefehlshaber, der uns beim kommenden Waffengang von Sieg zu Sieg führen wird‘“.

Der Oppositionsführer (stolz): „Die meinen Regine Hildebrandt.“

Der Kanzler (ärgerlich): „Doch nicht die. Mich natürlich.“

Der Oppositionsführer (erschrocken): „Aber sie sind doch schon der Oberkommandierende unserer, der motzkistischen Seite und können nicht beide Bürgerkriegsparteien anführen.“

Der Kanzler (listig): „Aber das ist doch der Clou. Ich werde beide Seiten so führen, daß sie immer aneinander vorbeimarschieren.“

Der Oppositionsführer (anklagend): „Aber das haben sie doch schon in Friedenszeiten immer so gemacht.“

Der Kanzler: „Sie müssen zugeben, wenn mein Entschluß, die beiden feindlichen Seiten so lange aneinander vorbeizuführen, bis sie abgeschlafft und ermüdet zur Einsicht gelangt sind, bereits von früheren Oberbefehlshabern in früheren Kriegen gefaßt worden wäre, ... die Welt sähe ganz anders und sehr viel besser aus.“

Der Außenminister (springt auf): Das ist das Ende des Historikerstreits! Sie sind der größte Kanzler, den wir je hatten.“

Der Kanzler (bescheiden blinzelnd): „Na ja, die Gewichtsprobleme... “ (ernst) „Zurück zu Motzki. Die Absicht ist unverkennbar: die deutsche Enteinigung. Am Ende eines Bürgerkrieges gäbe es dann nicht nur zwei deutsche Staaten, oder wie jetzt 14 deutsche Bundesländer, es gäbe nach meinen Berechnungen 140.“

Der Oppositionsführer (verstört): „140?“

Der Kanzler: „Wenn nicht noch mehr. Jedes Kuhnest würde doch unverzüglich seine Eigenstaatlichkeit ausrufen und Bundesmittel beantragen. Bundesland Oberammergau, Hunsrück, Berchtesgaden, Erfurt-West, Erfurt-Ost... “

Der Thüringer Ministerpräsident (beleidigt): „Meine Landeshauptstadt ist kein Kuhnest.“

Der Kanzler (beschwichtigend): „Jetzt sei doch nicht schon wieder eingeschnappt. Du bist auch schon ein richtiger Otzki, äh, Ossi geworden. Immer beleidigt und empfindlich.“

Thüringer MP: „Ewig hackt ihr auf uns rum.“

Oppositionsführer: „Was heißt auf ,uns‘, wo sie als Zugereister doch überhaupt keine Angst vor einer ethnischen Säuberung haben müssen.“

Der Thüringer Ministerpräsident (edel): „Ich teile das Schicksal meines Volkes, und mein Freund, der Sachsenführer, meint das gleiche.“

Der Fraktionschef der PDS: „Welches Volk meinen Sie, ihr letztes oder das gegenwärtige?“

Der Kanzler (streng): „Also, Herr Gysi, wenn Sie schon hier teilnehmen dürfen, dann hören Sie wenigstens auf zu provozieren.“

Gysi (bekümmert): „Herr Bundeskanzler, was haben Sie denn immer gegen mich?“

Der Kanzler: „Das können sie sich aber denken.“

Gysi: „Wir haben auf unserem letzten Parteitag dem Stalinismus völlig abgeschworen und ich persönlich war ja nie dafür.“

Kanzler: „Und ihr Name? Gysi. Den haben Sie aber behalten. Der hört sich schließlich genauso an wie Motzki. Vielleicht sind sie es ja überhaupt. Seiters, ist der Gysi heute schon überprüft worden?“

Der Innenminister: „Stündlich, Herr Bundeskanzler. Er ist es nicht.“

Kanzler: „Da sind sie aber froh, was, Herr Gysi?“

Gysi: „Man will wieder einmal die Arbeiterbewegung und ihre Partei verleumden.“

Kanzler: „Sind Sie jetzt still oder soll ich erst die GSG9 rufen?“

Gysi: „Ich kann ja gehen.“

Der Oppositionsführer: „Zu uns, Gregor. Wir brauchen einen neuen Wehner!“

Kanzler: „Gysi, ich verbiete Ihnen den Übertritt zu dieser Opposition. Wir finden etwas besseres für Sie.“

Gysi: „Bloß was, Herr Bundeskanzler.“

Kanzler: „Irgend etwas findet sich immer.“

Krisensitzung II, Kanzlerbungalow

Zwei Tage später. Alle schauen gebannt zur Tür. Der Innenminister und der Oppositionsführer schubsen brutal eine an Händen und Füßen gefesselte, uralte Dame herein.

Sie wirft sich dem Kabinettschef zu Füßen, der zieht sie zu sich hoch, sieht ihr tief in die Augen und fragt dann gütig: „Sie also sind die Mutter, Frau Motzki?“

Die Alte: „Ich heiße Hergenrötter. Mein Friedhelm ist nämlich unehelich.“

Der Kanzler (ärgerlich): „Als ob es keine Verhütungsmittel gibt.“

Motzkis Mutter (stolz): „Ich bin katholisch. Sie doch auch, Herr Bundeskanzler.“

Der Kanzler: „Äh, ja richtig, Frau Motzki.“

Motzkis Mutter: „Hergenrötter.“

Der Kanzler: „Tschuldigung. Und wer ist der Erzeuger?“

Die Frau öffnet schon den Mund, doch der Kanzler ruft triumphierend: „Sie brauchen mir gar nichts zu sagen, ich weiß es auch so. Ein gewisser Mengele.“

Motzkis Mutter: „Nein, das war der Menge. Der hat bloß alles aufgeschrieben, was ich ihm über Friedhelm erzählt habe.“

Oppositionsführer: „Aber wer ist dann sein Vater?“

Motzkis Mutter (mit scheuem Blick hinter sich): „Ein gebürtiger Saarländer.“

Kanzler (schlägt triumphierend auf den Tisch): „Dacht' ich mir's doch. Ein Saarländer! Fängt mit ,O‘ an und hört mit ,fontaine‘ auf.“

Motzkis Mutter: „Aber nein, nicht der Oskar. Wo mein Friedhelm doch wesentlich älter ist als der.“

Oppositionsführer (triumphierend): „Eben.“

Der Kanzler: „Diesem Mann ist alles zuzutrauen, sogar Motzkis zu zeugen, die älter sind als er selbst.“

Oppositionsführer (überzeugt): „So was macht Oskar nicht mal in der Toscana.“

Kanzler: „Aber wer ist dann der Erzeuger? Ich jedenfalls kenne nur einen Saarländer.“

Gysi: „Früher kannten sie aber zwei.“

Der Kanzler (erschüttert, beschwörend): „Frau Hergenrötter, ist es etwa der zweite?“

Motzkis Mutter (schluchzend): „Er hat so schön Schalmeie geblasen, da ist es eben passiert.“

Der Kanzler: „Das war Absicht, sage ich euch. Der hat den Motzki damals gezeugt, um das vereinte Vaterland, das zum Zeitpunkt des Geschlechtsakts ja noch gar nicht geteilt war, wieder zu enteinen. Also, wenn ich ihm alles zugetraut hätte, das nicht. Und dann dieser Name. Wenn er Napoleon hieße, oder Helmut, meinetwegen auch Erich, aber Motzki.“

Motzkis Mutter (schwärmerisch): „Der Name ist nichts weiter als eine Liebeserklärung des Kindesvaters.“

Der Kanzler: „An wen?“

Die Mutter: „An Mielke und Trotzki: Motzki.“

Abbruch der zweiten Sitzung des großen Krisenstabes in hektischer Eile.

Die Redaktion wird die Leser, sobald sie sich dazu in der Lage sieht, unverzüglich vom neuesten Stand der Ereignisse informieren. Sie übernimmt jedoch keine Gewähr bezüglich der Echtheit sämtlicher Angaben. Mitunter fällt selbst die seriöseste linksalternative Zeitung auf gezielte Fehlinformationen und Fälschungen herein. Damit aber müssen wir alle leben, ebenso mit Friedhelm Motzki, der sich noch immer auf freiem Fuße befindet – so wie der Kindesvater auch, dessen Ziel freilich, dank der Umsicht des großen Krisenstabes und dieser Zeitung, nicht erreicht wurde. Der Bürgerkrieg, soviel steht schon fest, findet diesmal noch nicht statt. Doch die Dinge sind in Bewegung und die Motzkis am Werk.

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