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Keine Kündigungen in der Krise

Die japanische Automobilindustrie leidet unter der Rezession/ Bei der Umstrukturierung aber bleibt der Stellenabbau tabu  ■ Aus Tokio Georg Blume

Von einer Krise der japanischen Automobilindustrie zu sprechen müßte deutschen Gewerkschaftlern geradezu vermessen erscheinen. Japanische Automanager hingegen dürften sich dieser Tage deutsche Verhältnisse wünschen, um ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Der Grund für die unterschiedlichen Empfindlichkeiten ist ein einfacher, aber er unterscheidet die Welten des Kapitalismus in West und Ost: Deutschlands Autoriesen entlassen, Nippons Motorenwerkstätten nicht.

Dabei stehen Deutsche und Japaner vor den gleichen Problemen: Der weltweite Schwund in der Automobilnachfrage setzt Überkapazitäten frei. „Wir müssen zugeben, daß wir die Bedarfslage falsch eingeschätzt haben“, sagt Yutaka Kume, Präsident des zweitgrößten japanischen Autoherstellers Nissan. Ferdinand Piech, der neue VW-Chef in Wolfsburg, gibt das gleiche Zugeständnis, wenn er für dieses Jahr einen Rückgang des deutschen Automarkts um 20 Prozent prophezeit.

Beide Unternehmen stehen bereits in den roten Zahlen: Bei VW schätzen Branchenkenner die Verluste aus dem Geschäftsjahr 1992 auf eine Milliarde Mark. Für Nissan, dessen Bilanzjahr erst im März schließt, wird ein Geschäftsverlust von 400 Millionen Mark vorausgesagt. Doch so sehr sich Piech und Kume bei der kritischen Einschätzung von Unternehmenslage und Branchenzukunft einig sind, im Moment des Handelns gehen ihre Wege auseinander. Piech hat kürzlich den Abbau von 36.000 Stellen angeordnet, das sind mehr als ein Zehntel der Arbeitskräfte von VW. Kume entläßt niemanden. Trotzdem sagt er: „Nur wenn wir mit aller Kraft abspecken, können wir überleben.“

An dem Gezeitenwechsel in der japanischen Autoindustrie besteht kein Zweifel. Noch vor zwei Jahren trachteten die Japaner danach, den Weltmarkt zu erobern. Zu Hause wurde 1990 die Rekordzahl von 7,8 Millionen Autos verkauft, in den USA erwartete man einen Ausbau des japanischen Marktanteils von 30 Prozent, während in Europa ein Dutzend neuer Fabriken aufgebaut wurde. Doch dann mußten selbst die Branchenführer Toyota und Nissan den Rückwärtsgang einlegen: In Japan schrumpfte die Zahl der verkauften Autos 1992 auf 6,7 Millionen. Und auch in Amerika und Europa litten die japanischen Hersteller unter der Rezession.

Die schlechten Verkaufsergebnisse forderten bereits erste Tribute: Isuzu, einer der kleinen unter Japans elf Fahrzeugherstellern, baut künftig nur noch LKWs. Mazda strich die Pläne, in den USA einen neues Netz von Luxuswagenhändlern aufzubauen, obwohl die Firma bereits Hunderte von Millionen Mark in das Vorhaben investiert hatte. Der Kleinwagenhersteller Daihatsu gab den US-Markt völlig auf und rechnet im laufenden Geschäftsjahr dennoch mit den ersten Verlusten seit 1949. Sogar Toyota, das den Ruf des bestgeführten Autounternehmens der Welt genießt, mußte 1992 in Japan Umsatzeinbußen über 8 Prozent und einen Gewinnrückgang über 20 Prozent hinnehmen.

„Unsere Lage in Japan ist wenig vorteilhaft“, urteilt Honda-Chef Koichiro Yoshizawa, „noch dazu geht es in Europa, besonders in Deutschland, mit der Wirtschaft bergab.“ Auf dem Weltmarkt für PKWs und LKWs beziffert Honda die Überproduktionskapazität auf 8,2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr. „Weil das Wachstum zu hoch war, ist der Rückfall um so härter“, sagt Nissan-Chef Kume. „Wir haben es mit strukturellen Problemen zu tun.“ Die aber will Kume nicht mit weniger Leuten lösen.

Das „Wir“ bei Nissan schließt Arbeiter und Angestellte immer noch mit ein. Wie sich unter diesen Umständen eine schmerzliche Roßkur durchziehen läßt, erlebte Nissan zuletzt Anfang der achtziger Jahre. Damals waren die Modellangebote veraltet. Zur gleichen Zeit mußte die Fehlentscheidung wiedergutgemacht werden, den US-Firmennamen von Datsun auf Nissan zu wechseln. Doch auch damals entließ Nissan keine Mitarbeiter. Man verfügte schlicht und einfach eine Lohnkürzung, und zwar je höher das Gehalt, desto höher auch der prozentuale Lohnausfall. Wird die japanische Krisenlösung der neunziger Jahre also ähnlich aussehen?

Genau das bezweifelten westliche Experten. Gestiegene Mieten und neugewonnene Konsumgewohnheiten ließen nach ihrer Meinung auch in Japan die Bereitschaft der Mehrheit zum weniger Verdienen abhanden kommen. „Die jüngere und sogar die mittlere Generation sind mit ihren Großeltern nicht zu vergleichen, die noch wußten, was wahre Enthaltsamkeit ist“, schreibt der Engländer Christopher Wood in seiner im Westen hochgelobten Analyse „Der Kollaps der japanischen Wirtschaft“. „Den Jüngeren liegt mehr an Konsum und Freizeit, was nur gut und richtig ist, da es dem Kapitalismus zeigt, wie er sein sollte, wenn ein Land eine bestimmte Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung erreicht hat.“

Wood ignoriert, daß sich Japan in der gegenwärtigen Krisensituation mit allen Mitteln wehrt, jene Stufe des Kapitalismus zu erreichen, die zwangsläufig in die Massenarbeitslosigkeit führt. Schon hat sich das Konsumverhalten in der Rezession schlagartig geändert. Statt weiter zu prassen, sparen die Japaner wieder. Das schafft kurzfristige Umsatzverluste, sichert aber langfristige Investitionschancen.

Dementsprechend verdienen die Manager vieler großer Konzerne heute bereits weniger als im vergangenen Jahr. Damit setzen die Verantwortlichen in ihren Firmen ein Signal: Arbeiter und Angestellte rechnen folglich nur noch mit einem Inflationsausgleich bei den diesjährigen Lohnverhandlungen. Der Elektronikriese NEC gab ein von einigen zwar belächeltes, aber dennoch weithin respektiertes Beispiel, als er seinen Mitarbeitern die Weihnachtszulage nicht mehr bar, sondern mit Computern oder Waschmaschinen auszahlte.

Ganz so bedrängt sahen sich die Autokonzerne bisher noch nicht. Früher waren Überstunden mit kräftigen Bonussen die Regel in der Branche. Das ist nun die Ausnahme. Schon schalten viele Fabriken von drei auf eine Schicht pro Tag zurück. Doch solange niemand entlassen wird, reichen die Einsparmöglichkeiten bei den Personalkosten nicht aus, um die Profitabilität des Unternehmens zu sichern. Allein 1993 müssen die Konzerne mit einem Anstieg der Lohnstückkosten um 9,5 Prozent rechnen.

Was also tun? Das einfachste wäre, die Preise zu heben. Mitte letzten Jahres überlegten die Spitzen der japanischen Konzerne dies tatsächlich – schließlich sind Preisabsprachen innerhalb einer Branche in Japan zwar illegal, aber in Krisensituationen durchaus üblich. Doch schließlich siegte die Angst in der Rezession: „Wir standen vor einer harten Entscheidung“, berichtet Honda-Vize Yoshihide Munekuni, „doch letztlich wollten wir das Umsatzvolumen nicht opfern.“

Inzwischen versuchen die Unternehmen zusammenzurücken. Allianzen zwischen den Herstellern sollen die Kosten senken und den Wettbewerb mindern. Noch Ende vergangenen Jahres vereinbarten Honda und Isuzu, in ihren Verkaufsniederlassungen zukünftig auch die Produkte der anderen Firma anzubieten. Dem folgten Anfang Januar Nissan und Mazda mit einem Kooperationsabkommen, das beiden Herstellern den Austausch von Modellen sichert. Nissan wird kleinere Transporter- LKWs von Mazda in seine Reihe übernehmen, umgekehrt vervollständigt Mazda sein Programm mit Nissan-Vans. Nun wollen sogar die Erzrivalen Toyota und Nissan kooperieren. Bisher ist zwar nur von der gemeinsamen Entwicklung eines Elektro-Autos die Rede, doch könnte das langfristige Folgen für die Forschungsprogramme beider Firmen haben.

Zur Debatte stehen dabei auch die langfristigen Investitionsprogramme der Firmen. Ausgerechnet Mazda und Nissan, die heute über die am weitesten automatisierten Fabriken verfügen, stehen finanziell am schlechtesten da. Der Umsatzverfall bringt es mit sich, daß auch die zwei modernsten Autowerkstätten der Welt, Nissan in Kyushu und Mazda in Hofu, unter Kapazität produzieren. Dementsprechend leiden die Bilanzen beider Unternehmen unter den hohen Abschreibungskosten für die fast nur noch computergesteuerten Produktionsverfahren. Toyota hat deshalb bereits umgeschaltet. Mit simplerer Technik will man künftig Arbeitsplätze retten und Investitionen sparen. Das Schwergewicht der Erneuerungen liegt nicht mehr auf Automatisierung, sondern auf einer bequemeren Gestaltung des Arbeitsplatzes. Deshalb kostet das neue Toyota-Werk in Kyushu nur noch 400 Millionen Yen, während die letzte Fabrik in Tahara noch Investitionen über 1,5 Milliarden Yen erforderte.

Nippons Autogiganten rationalisieren also weiterhin unter altertümlichen Umständen: Entlassungen würden das wichtigste soziale Tabu des Landes brechen. Aber was sonst hat die japanische Autoindustrie in den Jahren zuvor so stark gemacht? Herr Piech sollte noch einmal überlegen.

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