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Nur gute Nachrichten aus der Türkei

■ Dr. H. Stercken, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, hat vollstes Verständnis für die Verurteilung des deutschen Journalisten Stephan Waldbberg / Eine PR-Tour durch Kurdistan

Berlin (taz/dpa) – Kein Grund zur Besorgnis, in der Türkei steht alles zum Besten. Ganz fest vorgenommen hat sich Dr. Hans Stercken (CDU), seines Zeichens Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, diesmal aus der Türkei nur Gutes zu berichten. Stercken, der seit Ende letzter Woche zusammen mit dem türkischen Botschafter in Bonn, Onur Öymen und seinem deutschen Pendant in Ankara, Jürgen Oesterhalt, durch Anatolien tourt, will mit seiner Reise ein Gegenstück „zur gewöhnlich antitürkischen Berichterstattung in den deutschen Medien“ schaffen.

Vor allem die Sicht auf den Bürgerkrieg im kurdischen Teil der Türkei schien Stercken in Deutschland zu einseitig. Unter der sachkundigen Führung des türkischen Innenministers und des türkischen Polizeichefs besuchte er die Aufstandsprovinzen, um sich anschließend über die kurdische Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auszulassen. In Deutschland, so Stercken in Ankara, werde immer unterschlagen, mit welch „unmenschlichem Terror die PKK ohne Rücksicht auf Kinder und alte Menschen“ in Kurdistan Krieg führt.

Höhepunkt der Reise in die kurdischen Provinzen war der Besuch des Militärgefängnisses in Diyarbakir. Der Knast in Diyarbakir ist das größte und berüchtigste Militärgefängnis der Türkei. Die Folter ist in Diyarbakir endemisch und dient nach Abschluß der U-Haft der Umerziehung. In diesem Knast sitzt der deutsche Journalist Stephan Waldberg. Er wurde im Januar dieses Jahres als angeblicher Unterstützer der PKK zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt und wartet nun auf seine Revisionsverhandlung. In der letzten Woche berichtete der Sender Radio Dreyeckland, für den Waldberg in Kurdistan unterwegs war, ihr Mitarbeiter sei im Knast mißhandelt worden. Hintergrund dieser Meldung ist ein Hungerstreik, den mehrere hundert Gefangene zur Zeit durchführen, um wenigstens minimale Rechte durchzusetzen. Das Militär hatte in der letzten Woche die Zellen gestürmt und die Gefangenen zusammengeschlagen – 70 von ihnen so schwer, daß sie stationär behandelt werden müssen.

Von diesen „Maßnahmen“ der Militärs war auch Waldberg betroffen, wie er Stercken in einem persönlichen Gespräch bestätigte. Anschließend eriwes sich Stercken als echter PR-Fachmann: Er könne der deutschen Öffentlichkeit die erfreuliche Mitteilung machen, daß Stephan Waldberg „nicht ernsthaft verletzt“ ist. Genaugenommen sei er gar nicht verletzt, sondern bei einem Handgemenge im Gefängnishof nur von einem Gummiknüppel an Kopf und Schulter touchiert worden. Der Gefängnisarzt habe trotz penibelster Untersuchung keine bleibenden Schäden feststellen können. Stercken hat, was Waldberg angeht, sowieso nur gute Nachrichten. Zwar ist der deutsche Vertreter des Bundestages mit der türkischen Militärjustiz völlig einig – Waldberg sei Propagandist und nicht Journalist und werde wohl deshalb auch das Revisionsverfahren verlieren. Aber danach, so will Stercken signalisiert bekommen haben, könne sich der türkische Staat großzügig zeigen und Waldberg aus humanitären Gründen abschieben. Der junge Mann habe ja eine schwächliche Konstitution. Jürgen Gottschlich

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