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Wem nützen Euphemismen?-betr.: taz-intern: "Auschwitz deportiert", taz vom 5.2.93

betr.: taz-intern: „Auschwitz – deportiert“, taz vom 5.2.93

[...] 1.geht es um das Wort „Deportation, deportiert“. Man kann an dem Wort so viel rütteln, wie man will: Es ist der „rechtlich präzise Terminus“ aus der Genfer Konvention, und er ist international nicht nur geläufig, sondern auch verständlich. Auch in den englischsprachigen Zeitungen/ Zeitschriften Israels wird nur der Terminus „deportation“ verwendet, auch allgemein in der deutschen Presse, wie ich in vielen Artikeln verschiedener Zeitungen festgestellt habe.

Ich erwarte von einer Zeitung im demokratischen Deutschland eine objektive Berichterstattung, die die Probleme mit den richtigen Termini benennt, auch wenn es sich um Aktionen Israels handelt. Wem nützen Euphemismen? In diesem Fall hatte sogar eine dem Holocaust Entronnene die Dinge beim richtigen Namen genannt. Wer hätte mehr Recht dazu als sie?

2.Sie schreiben von einer „achtlosen Aneinanderreihung“ zweier Begriffe, die man gefälligst weit auseinanderhalten, zumindest in deutschen Zeitungen, also auf verschiedenen Zeitungsseiten bringen sollte. Mich hat die Nähe der beiden Begriffe in Ihrem Artikel wieder darüber zum Nachdenken gebracht, wie der Nahostkonflikt – mit den Traumata der Israelis und mit den Traumata der Palästinenser – letztlich mit unserer europäischen und deutschen Geschichte zusammenhängt. Wer sich mit dem Israel/Palästina-Konflikt im Kontext der europäischen Geschichte (endlich einmal gründlicher!) befaßt, wird mit Schrecken zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Wurzeln, fast alle Wurzeln dieses Konfliktes in Europa stecken, als „Made in Europe“, ganz besonders aber „Made in Germany“. Es sollen da nur einige Stichworte genügen: der Antisemitismus im Rußland des letzten Jahrhunderts (Pogrome und Massendeportationen), in Frankreich (Dreifuß-Prozeß), in Deutschland („Endlösung“), Rassismus, Nationalismus und der Zionismus als jüdische Antwort auf die eben genannten Ismen. Mit Hilfe des britischen Imperialismus und Kolonialismus wurde „das jüdische Problem Europas“ in die arabische Welt, die bis dahin mit den unter ihr lebenden Juden keine Probleme hatte, exportiert. Europa war sein „Judenproblem“ los, und die arabische Welt muß seit etwa 100 Jahren auslöffeln, was Europa, ganz besonders Deutschland eingebrockt hat. [...] Die „unvergleichlichen NS-Verbrechen werden nicht verharmlost“, wenn diese beiden Begriffe konnotiert werden, im Gegenteil. Die NS-Verbrechen wirken auf eine schreckliche und tragische Weise im Schneeballeffekt viel weiter und mehr in unsere Zeit hinein, als uns bewußt ist. Sowohl Unkenntnis als auch Verdrängung mögen hier eine Rolle spielen. [...] Ellen Rohlfs, Leer

Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen Deportationen, die in die Massenvernichtungslager der Nazis führten, und der Unrechts- und Vertreibungspolitik der israelischen Regierung gegen die Palästinenser. Jeder weiß das! Trotzdem suchen manche immer wieder Gelegenheiten zu Vergleichen...

Natürlich sind es meist „nur“ phantastische Vergleiche und Phantasie-Bilder (wie zum Beispiel Auschwitz-Deportationen und Warschauer Getto 1944 – Massaker in den Palästinenserlagern Chatila und Sabra durch israelische Soldaten (Joschka Fischer: „Von grüner Kraft und Herrlichkeit“, rororo, Seiten 32 und 33); dennoch waren und sind es Vergleiche und werden dadurch immer wieder zu Provokationen! Wolfgang Schröder, Wahnbek

[...] Die Nazis haben in ganz Europa und einem Teil der Sowjetunion Abertausende von Zivilisten zwangsumgesiedelt, in Lager gepfercht, verschleppt, deportiert. Sie benutzten ein besonderes Vokabular für ihre Verbrechen: „verschicken“, „verbringen“ (sic!), „umsiedeln“, „überstellen“ oder aber „in die Sommerfrische schicken“ (wenn sie die Gaskammer meinten). Die Verfasser der Genfer Konventionen waren keine Nazis. Sie wußten genau, wovon sie sprachen, als sie einen Katalog der Menschenrechte formulierten und ihn der Weltgemeinschaft zur Unterzeichnung vorlegten. Verbrechen, wie sie die Nazis begangen hatten, sollten in Zukunft verhindert und geahndet werden können.

Eine Deportation ist weder eine „Verbringung“ (der Terminus „widerrechtliche Verbringung“ ist eine Contradictio in adjecto!) noch eine „Abschiebung“.

1.Es handelt sich um eine Deportation, wenn eine Besatzungsmacht die autochthone Bevölkerung des von ihr besetzten Gebietes einzeln oder in Massen gewaltsam über die Landesgrenzen schafft. Die IV. Genfer Konvention stuft dies als Verbrechen ein und erklärt die Gründe, die eine Besatzungsmacht dafür ins Feld führt, für irrelevant (seien es nun Verweise auf eine „andere Rasse“, „andere Religion“, oder aber, daß es sich bei den Deportierten um Verbrecher handle, die durch eine Deportation bestraft werden sollten.)

2.Da die Palästinenser keine Fremden im eigenen Land sind, die sich hier ein Aufenthaltsrecht anmaßten, trifft auch der Begriff Abschiebung nicht zu, unterstellt er doch, daß ein Staat den Bürgern eines anderen Staates den Aufenthalt in seinem Lande verwehren und ihnen das Recht auf Aufenthalt per Gerichtsverfahren oder auch nicht (siehe die Handhabung hierzulande) entziehen könne.

Wenn eine Deportation in der Vergangenheit Unrecht war, dann ist sie das auch in der Gegenwart und Zukunft. Wieso genießt Israel in dieser Frage Immunität? Etwa deshalb, weil Nazis Juden deportierten, kann Israel heute Palästinenser deportieren, wenn es behauptet, dies sei eine notwendige Strafmaßnahme? [...] Ich glaube, daß Ihr auch einmal diskutieren solltet, wieso die Tendenz zur Beschönigung eindeutiger Sachverhalte hilfloser Antifaschismus sein kann. Inge Presser, Darmstadt

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