Horror-Odyssee für türkische Vertragsarbeiter

■ Türkische Bauarbeiter um Lohn geprellt / Zuletzt nicht mal was zu essen / Sozialhilfe nur für vier Tage

/ Zuletzt nicht mal was zu essen / Sozialhilfe nur für vier Tage

Sie haben am Flughafen-Terminal mitgebaut, am Elbe-Einkaufszentrum, am Augustinum in Neumühlen, es gibt kaum eine Baustelle, auf der sie nicht waren. Doch ihr Geld bekommen haben sie nicht. 46 türkische Werksvertragsarbeiter befanden sich gestern früh in einer prekären Lage: ohne Geld für Essen hausen sie in einem Abbruchhaus an der Stresemannstraße, wo es weder Kochgelegenheiten noch sanitäre Anlagen gibt.

Ginge es nach der Baufirma Gestas, so wären die Baufacharbeiter schon längst zurück in Ankara. Man habe alles Geld bis auf den letzten Pfennig bezahlt, behauptet ein Firmensprecher, der seinen Namen nicht nennen will. Das Gegenteil ist der Fall, sagt Rechtsanwalt Stefan Herrmann. Die Firma habe ihren Arbeitern Mitte Dezember gekündigt und mit der Abschiebung durch die Ausländerpolizei gedroht. Vorher allerdings seien sie nach Strich und Faden ausgenommen worden.

Das Abkommen für insgesamt 7000 Werksvertragsarbeiter zwischen BRD und Türkei gibt es erst seit 1991. Damit die Konkurrenz nicht zu groß wird, ist eine Entlohnung nach deutschen Tarifen vorgeschrieben. Gestas, in der Türkei ein Baumulti, gab seinen Arbeitern Verträge, die bis Ende '93 gültig sein sollten und einen Nettolohn von 12,88 Mark vorsahen. Die Männer wurden außerdem mit Aussicht auf komfortable Unterkunft und Verpflegung gelockt. Doch was sie dann hier in Deutschland erlebten, gleicht einer Horror-Odyssee: Zunächst wurden sie auf Baustellen und in Abbruchhäusern untergebracht, zu sechst in einem Raum. Dafür wurden ihnen 500 Mark Miete berechnet. Als Verpflegung gab es eine Plastiktüte mit einem Sandwich und einem Ei am Tag, berichtet Kenan Zander von der Deutsch Ausländischen Begegnungsstätte St.Pauli, die sich inzwischen um die Männer kümmert.

Als die Gestas im Dezember die Kündigung aussprach, weil die Arbeiter angeblich zuviel Ärger machten, hatten diese von ihrem Geld so gut wie nichts gesehen. „Ich hab 51 Tage 14 Stunden am Tag gearbeitet“, sagt Kemal Orhan. Bekommen habe er lediglich 1000 Mark. Bis Oktober wurden die Männer mit 250 Mark in bar und 500 bis 600 Mark als Überweisung für ihre Familien abgespeist. Entgegen der vertraglichen Zusicherung gab es keine nachvollziehbaren Lohnabrechnungen.

Ungewöhnlich ist, daß die Sache vors Arbeitsgericht kommt.

1„Rechtlich ist eine Kündigung des Vertrages nicht möglich, weil er befristet war“, sagt Rechtsanwalt Herrmann. Das türkische Arbeitsrecht sage dasselbe. Da Gestas in der Türkei eine große Nummer ist, rechne man sich Chancen aus, von der BRD aus Titel zu vollstrecken.

1Doch die Frage ist, wovon leben, bis Recht gesprochen wird? Zuletzt hatten die Männer schlicht nichts zu beißen. Als sie vor zwei Wochen beim Sozialamt vorsprachen, weigerten sich die Beamten zu zahlen. Begründung: Es gebe keine Aufenthaltsbescheinigung.

1Auch gestern sollte es zunächst nichts geben. Erst nachdem Sozialarbeiter Kenan Zander die Presse einlud, telefonierte Abteilungsleiter Peter Brömel mit der Ausländerbehörde. Ergebnis: vier Tage Sozialhilfe für jeden, danach wird neu entschieden. Kaija Kutter