Eine Amerikanerin in Berlin

Während das Festival seinem Ende zugeht, möchte ich mal wieder meine Preise für die Filme dieses Jahres verteilen. Wenn auch noch nicht alle Filme gelaufen sind, und ich vielleicht ein besonders gelungenes Kunstwerk verpasse, stelle ich meine Liste doch lieber jetzt schon zusammen, um mir von den offiziellen Juroren nicht den Vorwurf unberechtigter Einflußnahme einzuhandeln.

Vor dem besten Film kommt die beste Szene, und das ist zweifellos die „Rache der Killer-Transvestiten“ in Takehiro Nakajimas „Okoge“, wo die Bösen unter Einsatz von Pfennigabsätzen und gewichtigen Handtaschen erledigt werden. „Okoge“ ist noch empörender als Harvey Firesteins „Torch Song Trilogy“ und noch sentimentaler — falls das geht.

Vor das beste Drehbuch gehört die beste Zeile, und die stammt wohl von Spike Lee in „Malcolm X“: „Ich bin ein viel zu großer Freund von weißen Frauen und Schweinsfüßen, als daß ich Moslem werden könnte.“ Die beste musikalische Sequenz geht an „Jagd auf Schmetterlinge“ wegen der Hare Krishna-Tänze zum Um-pa-pah einer Blaskapelle von Achtzigjährigen. Eine solche choreographische Untertreibung war nicht mehr zu sehen, seit Carmen Miranda sich eine Ananas auf den Kopf setzte und mit einer Banane tanzte.

Das beste neue Filmprojekt kündigte Danny de Vito an, als er sich gegen den Vorwurf wehrte, „Hoffa“ verherrliche Gewalt. „Ich werde Ihre Sorgen an Hollywood weitergeben“, sagte er, „und im nächsten Jahr kommt dann ,Hoffa und die Pfadfinder‘.“ Das beste Comeback schafften Faye Dunaways Beine in „Arizona Dream“, knapp dahinter Jerry Lewis' rosa Satin-Smoking, oder überhaupt einfach Jerry Lewis. Auch die zweitbeste Zeile kam aus diesem Film: bei der Pressekonferenz zu „Arizona Dream“ stellte jemand Johnny Depp eine Frage, und der fragte zurück: „Was?“

Der Preis für den obskursten Titel geht an „Die Frauen vom See der duftenden Seelen“, der optimistischste war „Okoge“, und das bezieht sich, glaube ich, auf Frauen, die was für schwule Männer übrig haben. Auch der Preis für die beste Idee geht an „Okoge“ und das „Hochzeitsbankett“ für den Vorschlag, daß sich homosexuelle Männer und Frauen zusammentun; Heteros könnte man auf den Falkland-Inseln in Schlafsäle sperren, bis sie gelernt haben, sich zu benehmen.

Den Preis für die größte Überraschung kriegt Oren, das neue jüdische Restaurant in Ostberlin, komplett mit hebräischer Schrift auf den Speisekarten. Der Preis wird nicht so sehr wegen seiner Existenz verliehen, die ja erstaunlich genug ist, sondern er ist die Belohnung für etwas, was kein jüdisches Restaurant in Amerika schafft: ein koscheres Restaurant mit Stil. Ich kann mich nicht erinnern, in New York jemals eine wohlgepflegte, gut sortierte Bartheke gesehen zu haben, die von der Decke hing, mit Chanukka-Leuchtern drauf. Eine solch unwahrscheinliche Kombination hat es nicht gegeben, seit Carmen Miranda mit einer Banane tanzte. In den Vereinigten Staaten statten die jüdischen Restaurateure ihre Lokale mit viel Shtetl-Nostalgie aus — das bringen nur Leute fertig, die sich an das Shtetl nicht erinnern können. Zum Beispiel servieren sie das Essen, vor dem meine Großeltern aus Europa auswanderten; es schmeckt wie in Fett gebackener Zement. In Deutschland haben Juden vermutlich ein besseres Gedächtnis und tun, was jeder vernünftige Mensch tut: sie lassen die „cuisine“ außen vor. Oren serviert nahöstliche Spezialitäten und andere leichte, gutgewürzte Gerichte (unternehmungslustige Türken werden zweifellos bald weitere jüdische Restaurants eröffnen, wo sie die gleichen nahöstlichen Spezialitäten servieren können wie in türkischen Restaurants, dafür aber größeren Ruhm davontragen). Was die Atmosphäre im Oren angeht, versicherte mir mein Ostberliner Freund und Gastgeber an diesem Abend, es sei sehr, sehr schick, der Treffpunkt von Intellektuellen und Akademikern. Er versicherte mir auch, die Gäste kämen aus Ost- und Westberlin, sogar Leute, die gar keine Juden seien. Und erwähnte ich schon, daß er mir auch versicherte, das Restaurant sei in Berlin durchaus gut angesehen, ebenso wie die jüdische Organisation, der es gehört... irgendwo muß da der Grund liegen, warum deutsche Juden ein so gutes Gedächtnis haben.

Der Preis für die größte Enttäuschung geht an die Florian- Bar, wo früher ein Mädchen am späten Abend viel Spaß haben konnte. Mir persönlich hat dort eines Abends ein bekannter österreichischer Schriftsteller, dessen Namen ich vergessen habe, stundenlang die Finger abgeschleckt. Und dort fragte mich auch Matthieu Carriere — attraktiver ist nur Jeremy Irons — nach meinem Namen, worauf ich wie ein Schulmädchen reagierte und davonlief. Mein einziger Trost ist, daß Dorothy Parker schrieb, ihr sei das auch mal passiert, wenn auch vermutlich nicht mit Matthieu Carriere. In diesem Jahr war Florian eine Pleite, obwohl mir ein Knabe weismachen wollte, wir gingen in New York in die gleiche Sporthalle. Vielleicht brauche ich eine Runderneuerung.

Bei der jüngeren Generation hatte ich jedoch vollen Erfolg. Der Preis für den besten Sex geht an den zweijährigen Sohn eines Kollegen aus dieser Zeitung, der mir ein Plätzchen halb in den Mund steckte, ein zweites zur Hälfte in den eigenen — der Rest ist Geschichte. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning