■ Stadtmitte: Mehltau auf der „radikalen Wende“
Der umweltpolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Behrendt, verlangte in der „Stadtmitte“ der letzten Woche zu Recht einen radikalen Schnitt in Wirtschafts- und Lebensweise: Niemand kann nach Vorliegen des „Energiekonzepts Berlin“ ernsthaft behaupten, daß mit Technik und Intelligenz allein wirksamer Klimaschutz zu machen ist. Die neun Tonnen CO2, die Berlin pro Kopf und Jahr in die atmosphärische Erdhülle pustet, lassen sich bis zum Jahr 2010 nur halbieren, wenn dann in Berlin weniger eng gewohnt, weniger geflogen und motorisiert gefahren, weniger hergestellt und verbraucht wird.
Der Umweltsprecher der SPD hat auch mit der Forderung Recht, nicht auf Maßnahmen des Bundes oder der EG zu warten, sondern vor Ort mit einem entschiedenen Kurs zur Senkung des CO2-Emissionen zu beginnen. Dann aber schlägt er einen geradezu olympischen Spagat: „Die Große Koalition bietet die einmalige Chance, auch schmerzhafte Veränderungen zu vollziehen.“
Dafür hat er homerisches Gelächter verdient. Der jetzige Senat blockiert selbst zarte Ansätze einer Energiesparpolitik und die SPD-SenatorInnen ziehen hier aktiv mit. Während Behrendt eine Halbierung des Individualverkehrs verlangt, haben CDU und SPD einen Innenstadtring mit Tiergartentunnel beschlossen, der dort die Autolawine verdoppelt.
Der SPD-Wirtschaftssenator will die Strompreise niedrig halten und ermutigt damit den unmäßigen Energieverbrauch im Gewerbe. Gemeinsam mit dem CDU-Finanzsenator hat er die Ebag-Anteile der Stadt an die Bewag verschenkt und damit den Einfluß der Stadt auf den Stromkonzern entscheidend geschwächt. Er verzögert die Aushandlung von Konzessionsverträgen, die die Bewag und die jüngst privatisierte Gasag mit an die Leine sparsamer Energielieferungen legen können. Mit Brandenburg verhandelt er, wie die viel CO2 erzeugende, wenig energiewirksame Braunkohle stärker in Berlin verbrannt werden kann: Norbert Meisner, vormals umweltpolitischer Sprecher der SPD.
Im „Bauhaus“ Nagel sieht es nicht besser aus. Hauptsächlich dieser SPD-Senator verhindert eine Umsetzung des Berliner Energiespargesetzes, die Behrendt so entschieden verlangt. Als meine Fraktion vor Jahresfrist die detaillierte Umsetzung des Gesetzes beantragte, stieß sie auf geschlossene Ablehnung auch der SPD-Abgeordneten.
Behrendt fordert, daß der Senator die Bauförderung an strengere Auflagen des Energiesparens bindet. Der Bausenator plant gerade die Abschwächung des Wärmeschutzes in den Förderrichtlinien, wie er unter Rot- Grün eingeführt wurde. Energiesparendes Bauen ist kurzfristig teurer, Nagel will jedoch mit weniger Geld mehr Wohnungen bauen und instandsetzen. Eine blinde Tonnenideologie verdrängt auch hier einen intelligenten Klimaschutz.
Schwarz-roter Mehltau darf eine klare Sicht auf die Realitäten nicht verkleben. Nicht mit, nur gegen die Große Koalition ist wirksamer Klimaschutz in Berlin möglich. Ökologen der großen Parteien müssen sich entscheiden: Tragen sie den unheilvollen Kurs der Energieverschwendung mit, der auch Berlins Zukunftsperspektiven zerstört, oder verlassen sie das Boot des alltäglichen Wahnsinns und schließen eine Koalition des Überlebens quer zur Fraktionsdisziplin und Parteiräson? Hartwig Berger
Der Autor ist umweltpolitischer Sprecher des Bündnis 90/Grüne
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