piwik no script img

Punkte auf einer Plastikfolie

■ Übersichtspläne sollen Blinden einen Eindruck der Topographie Berlins vermitteln / Eine Umsetzung der bekannten Stadtpläne würde mehrere Bände füllen

Berlin. Die Nachschlagewerke, aus denen Jürgen Lubnau seine Informationen bezieht, sind ungewöhnlich umfangreich. Das Kursbuch der BVG zum Beispiel füllt einen 160-seitigen DIN-A4-Ordner, sein Duden verteilt sich auf einem zweieinhalb Meter langen Regal. Für das neue Postleitzahlenverzeichnis wird er anbauen müssen: Vermutlich hat es einen Gesamtumfang von 150 Ordnern. Jürgen Lubnau ist blind. Was andere lesen können, muß er mit den Fingerkuppen ertasten; statt gedruckter Buchstaben „liest“ er Punkte auf einer Plastikfolie. Die Blindenschrift läßt sich nicht verkleinern: Damit die Punkte erfühlt werden können, muß zwischen ihnen ein Mindestabstand gewahrt sein.

Aus diesem Grund gibt es keinen Stadtplan für Blinde. „Auf einer Seite könnte man immer nur einen Teilbereich abbilden, insgesamt wäre das ein unüberschaubares Riesenwerk“, sagt Uwe Dettner, Lehrer an der Blindenschule. In Marburg hätten sie mal einen solchen Stadtplan entwickelt und seien „schließlich bei dreißig Ordnern angekommen. Da müßte man den Berliner Plan im Handwagen hinter sich herziehen.“

Um den circa 7.000 blinden Berlinern dennoch die Möglichkeit zu geben, sich ein zumindest grobes Bild von ihrer Stadt zu machen, hat das Blindenhilfswerk jetzt zwei neue Pläne vorgestellt. Uwe Dettner hat gemeinsam mit Jürgen Lubnau einen Übersichtsplan entwickelt, auf dem die Grenzen der 23 Berliner Bezirke und ihre Namen zu ertasten sind. Auf dem zweiten Plan sind die Hauptverkehrswege verzeichnet: Die dicken Linien sind die Stadtautobahnen, die schmalen sind kleinere Straßen.

Dettner ist ein Fachmann auf dem Gebiet der Blindenpläne. Vor Jahren hat er einen Zimmerplan des Charlottenburger Schlosses entwickelt, gerade denkt er über ein Verzeichnis der Berliner Gewässer nach. Grundlage jedes Plans ist eine aus Pappe gefertigte Matrize, auf der die in Aluminium gestanzten Straßennamen geklebt werden. Mit einer speziellen Maschine wird danach eine heiße Folie auf die Vorlage gepreßt; nach dem Abkühlen ist der Abdruck fertig.

Von den Plänen profitieren werden nur jene Blinden, die die Punktschrift beherrschen. Das sind längst nicht alle, sagt Dettner. Besonders Menschen, die im Alter ihre Sehkraft verloren haben, hätten manchmal Schwierigkeiten mit ihrem Tastsinn: „Wenn die Hände schwielig sind von harter Arbeit, geht das Gespür für solche Feinheiten verloren.“ Aber auch die anderen werden sich mit den neuen Plänen nicht allein im Verkehrsgewirr der Großstadt zurechtfinden können. Eine Orientierungshilfe sollen sie sein, sagt Dettner, „aber draußen braucht jeder Blinde weiter jemanden, der ihn betreut“. ger

Die Pläne sind kostenlos erhältlich beim Blindenhilfswerk Berlin, Rothenburgstrasse 15, 1000 Berlin 41; Telefon 7925031.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen