: Nissan schließt zum ersten Mal eine Fabrik
■ Wendepunkt und historisches Ereignis für die japanische Autoindustrie
Tokyo (taz) – „Wir erleben eine richtige Krisenstimmung.“ Yoshifumi Tsuji, Chefmanager des zweitgrößten japanischen Autoherstellers Nissan, erschien auf der Pressekonferenz am Dienstag in Tokio als geschlagener Mann. Gerade hatte Tsuji eine historische Entscheidung bekannt gegeben: In Zama bei Yokohama wird Nissan im Frühjahr 1995 die Fabriktore schließen.
Zum ersten Mal in der Geschichte der japanischen Automobilindustrie fällt eine Fabrik der Rezession zum Opfer. Das Werk in Zama, 1964 eröffnet, galt früher als Schmuckstück der Branche. Das englische Kronprinzenpaar bewunderte hier vor Jahren, als man noch glücklich vereint lebte, das Wunder der japanischen lean- production. Doch auch in Japan währen Wunder nicht ewig: „Wir sind kein unsinkbares Schiff“, rechtfertigte der Nissan-Chef Tsuji seine Entscheidung. Am nächsten Tag sprachen die japanischen Zeitungen von einem „symbolischen Ereignis“ und dem „Wendepunkt der stetig wachsenden Massenproduktion“.
Der am Dienstag verkündete Umstrukturierungsplan von Nissan zeigt, wie Ernst die Lage in der japanischen Automobilindustrie wirklich ist. Bis zum März 1996 will Nissan 5.000 Stellen abbauen und damit die Belegschaft um annähernd ein Zehntel von 53.000 auf 48.000 Stellen reduzieren. Mit der Fabrik in Zama wird eine Produktionskapazität von 260.000 Kleinwagen im Jahr ersatzlos aufgegeben. Das bisher auch in Japan einmalige Modellsortiment von insgesamt 2.000 verschiedenen Fahrzeugausführungen will Nissan bis 1995 um 35 Prozent reduzieren. Im gleichen Zeitraum sollen die Ingenieure mit 40 Prozent weniger Ersatzteilen auskommen.
Ob aber das neue Sparprogramm schon ausreicht, um Nissan für die neunziger Jahre wieder flott zu machen, bezweifeln viele. Allein im Januar ließ die Nachfrage auf dem japanischen Automobilmarkt um 11,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr nach. Das Autogeschäft ist in Japan bereits seit 21 Monaten rückläufig. Dennoch beruhen Nissans Reformpläne auf einer Prognose des Nullwachstums.
Langfristig rechnet das Mitsubishi-Forschungsinstitut mit einem durchschnittlichen Wachstum des japanischen Fahrzeugmarkts um 1,9 Prozent bis zum Jahr 2000. In den achtziger Jahren lag dieser Durchschnitt noch doppelt so hoch. Der Nissan-Vorsitzende Yutaka Kume nahm deshalb kein Blatt vor den Mund: „Wir sehen noch kein Erholungsszenario.“ Georg Blume
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen