„This is not a love song“

■ Diskussionsdokumente der „Revolutionären Zellen“ und „Roten Zora“ seit 1973

Unter dem Titel „This is not a love song“ meldete sich im Juli 1991 eine Gruppe aus dem „Traditionszusammenhang der Revolutionären Zellen“ zu Wort: „Tatsächlich kommt uns einiges von dem, was militante Gruppen in den letzten Monaten gemacht haben, als traurige Karikatur dessen vor, wofür mehrere Generationen Militanter seit Anfang der 70er Jahre in diesem Land gekämpft haben.“ Gemeint waren der Beschuß der Bonner US-Botschaft durch ein Kommando der „Roten Armee Fraktion“ Anfang Februar, der Versuch einer Revolutionären Zelle in Berlin, die tonnenschwere „Goldelse“ von der Siegessäule zu sprengen, und die Brandstiftung einer RZ im Berliner Reichstag. Gemeint war aber auch das tödliche Briefbombenattentat auf den Berliner Baustadtrat Klein, nachdem aufgrund einer anonymen Erklärung nicht ausgeschlossen werden konnte, „daß die Urheber des Attentats aus den Reihen der Linken kommen“. Dringend nötig, klagten die unbekannten GenossInnen aus dem „Traditionszusammenhang“, sei eine selbstkritische Auseinandersetzung über das Verhältnis von Moral und Politik: „In einer Situation, in der die Linke insgesamt fast völlig bedeutungslos geworden ist, ist diese Diskussion existentiell.“ Die eingangs erwähnten Aktionen nähmen zwar allesamt für sich in Anspruch, „richtige Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu geben, sie entwerten jedoch den Einsatz revolutionärer Gewalt selbst“.

Das Verhältnis von Moral und Politik war von jeher eher ein Thema für die Revolutionären Zellen und die Rote Zora als für die Rote Armee Fraktion. Beispielsweise nachzulesen in einem offenen Brief an „alle Genossen aus der RAF“, der im Dezember 1976 veröffentlicht wurde. Teile der RZ gingen darin mit dem Avantgardeanspruch der RAF hart ins Gericht. „Genossen, wir haben ein ganz praktisches Problem mit euch“, heißt es in dem Schreiben, das allerdings auch in den Reihen der RZ umstritten war: „Lange Zeit dachten wir, daß ihr unsere Genossen seid. Aber viele Genossen draußen haben nicht das Gefühl, daß sie auch eure Genossen sind. Wir und die anderen wurden/werden benutzt/untergeordnet, für eure Prozeßstrategie zum Beispiel. Auch für andere Mobilisierungskampagnen. Denn es gibt keine Möglichkeit, mit euch gemeinsam eine Strategie zu entwickeln und zu diskutieren.“

Die Frage einer gemeinsamen Strategie scheint nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus sowohl für die RAF als auch für die RZ oberflächlich erledigt. Mit einem Schreiben vom April 1992 legten die Militanten der RAF die Waffen nieder – drei Monate zuvor urteilten Mitglieder der RZ unter dem Titel „Das Ende unserer Politik“: „Wir sind in den Strudel der Auflösung linker Utopien und kommunistischer Systeme geraten, obwohl wir aus unserer Geschichte heraus meilenweit von dem entfernt waren, was jetzt als Realsozialismus zu Recht Bankrott gegangen ist.“ Neue Strategien und neue politische Inhalte sind seither in beiden Gruppierungen umstritten. Unstrittig ist dagegen die Notwendigkeit einer „politischen Öffnung“ (RZ) und des Aufbaus einer neuen „Gegenmacht von unten“ (RAF).

Die Geschichte der RAF, die der Auseinandersetzungen mit ihr und nicht zuletzt die Versuche, über die sogenannte „Kinkel-Initiative“ nach rund 22 Jahren des bewaffneten Kampfes zu einem politischen Ende des Terrorismus zu kommen, ist in den Medien vergleichsweise breit dargestellt worden. Anders jedoch mit den Debatten und Auseinandersetzungen um Strategien und Konzepte innerhalb der RZ.

Nachzulesen ist diese Auseinandersetzung nun in einem zweibändigen Textband mit dem Titel „Die Früchte des Zorns“. Herausgegeben wurden die beinahe 800 Seiten vom ID-Archiv im internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam. Ziel des Buchprojektes sei nicht, schreiben die Herausgeber, „ideologische Identifikation und Mythenbildung zu fördern“. Sie erheben auch nicht den Anspruch, „eine Geschichte für beendet zu erklären“. Durch ein Personen- und Institutionenregister, eine Auswahlbibliographie und ein umfängliches Literaturverzeichnis wurden beide Bände zum passables Nachschlagewerk und ein Beitrag zur historischen Aufarbeitung linksradikaler Politik in der Altbundesrepublik.

„Die Früchte des Zorns“, Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora. Hrsg.: ID-Archiv im Institut für internationale Sozialgeschichte, Amsterdam, ISBN: 3-89408-023-X, 2 Bände, 49,80 DM (Sonderpreis), Ladenpreis ab 1.6.1993: 68 DM

Weil die Herausgabe ausschließlich über Spendengelder gefördert wird, ist auch eine gebundene und auf 100 Exemplare limitierte Förderausgabe zum Preis von 248 DM erhältlich.