Der Wendekreis des Traktors

Die wundersame Metamorphose des Klaus O. beim  ■ 2:2 des FC St.Pauli bei Fortuna Köln

Zum Gesangsrepertoire des St.Paulianischen Fußballanhangs gehört neben orginären Fußballspezifischem wie dem herzergreifenden englischen Klassiker „You'll never walk alone“ seit kurzem auch die Variante eines popig-flotten Werbeslogans: Nichts ist unmöglich - St.Pauli. In der Originalversion preist der smarte Spruch eine japanische Automarke, am vergangenen Freitag im Kölner Südstadion hingegen war er wie gemacht für einen Millerntorianischen Spieler, den man eher als Traktor unter den Modellen der Profifußballer kennt. Streng genommen hat der Spielstil von Klaus Ottens nichts mit schnittiger Eleganz oder technischer Raffinesse zu tun. Klaus Ottens, Baujahr 1966, getestet bei Quitt Ankum, dem Hamburger SV (!) und in Herzlake ist eher ein Auslaufmodell - ebenbürtig dem guten alten VW Käfer, der lief und lief und lief, niemals kaputtging, aber auch nie irgendwelcher spektakulärer Leistungen wie sagenhafter Beschleunigung oder aerodynamischem Kurvenverhalten verdächtig war (nur die Heizung war zuverlässig defekt).

Aber, so sah sich der Betrachter der Ottenschen Spielkultur in Köln eines besseren belehrt, es ist wenig im Fußball wirklich unmöglich oder mit anderen Worten: In jedem tukkernden Traktor steckt die Sehnsucht, einmal ein Maserati zu sein, wenigstens für einen Moment. Ottens gönnte sich die Verwirklichung seines Traums in der 89. Minute des 29. Zweitliga-Spieltages beim Stande von 2:1 für Fortuna Köln. Zu diesem objektiv dramatischen Zeitpunkt also nahm der blonde Reservestürmer einen Freistoßball auf, den Peter Knäbel unberechtigt zugesprochen bekommen und dann selbst clever außen an der Kölner Mauer vorbeigeschoben hatte. Klaus Ottens lief also in diesen Ball und mit ihm lief und lief und lief er wie der mythische Käfer immer weiter und weiter bis zur Torauslinie. „Oh Ottens!“, mußte da der Kenner des Standardtraktorwendekreises denken, „wo willst Du denn noch hin?“ Und irrte doch gewaltig mit dem vorzeitigen Abschreiben der Torchance.

Denn in dieser spektakulären Lage zwischen Strafraumgrenze und Eckfahne sowie nahe dem Winkelgrad null zur Torlinie nahm Ottens Maß. Er, der in grauen Alltagsspielen nur mit dem linken Fuß die Bälle zu treten pflegt, aktivierte den offenbar für die unmöglichen Momente im Leben eines zweitklassigen Stürmers geschonten rechten Fuß, und — schwuppdiwupps-simsalabim — war der Ball ins Netz gezaubert. Keinerlei Abwehrchancen blieb den Kölnern, von denen vernünftiger — aber eben fatalerweise niemand mit dieser Freistoßvariante gerechnet hatte.

Der Jubel der St.Paulianischen Kollegen machte sich einen Moment lang ungläubig aus. Wer sollte es ihnen verdenken? Gerd Roggensack, Trainer des langsam aber sicher abstürzenden Aufstiegsaspiranten aus der Kölner Südstadt, jedenfalls nicht. Der seit sechs Spielen sieglose Coach konnte diese Ottensche Einlage selbst nicht fassen und verkündete, er wolle „sich noch mal im Fernsehen ansehen, wie das überhaupt zustande gekommen ist.“

St.Paulis Pendant Seppo Eichkorn hingegen war in der entspannten Manier des nach zweimaligem Rückstand in letzter Sekunde mit Tor und Punkt Beschenkten strahlend zufrieden und mithin in der Lage, der Partei das Prädikat „sehr unterhaltsam“ zuzusprechen. Zudem kann er mit makellosen 4:2 Punkten nach der Winterpause auf eine positive Tendenz verweisen. „Ganz langsam“, hofft Eichkorn nun sich mit den seinen von den Abstiegsplätzen davonstehlen zu können. Wenn Ottens noch ein paar Visionen von Traktor-Traum- Tricks parat hat, darf auf Rang 14 bis 15 geschielt werden. Oder gar noch höher? Hat vielleicht Leonardo Manzi noch ein paar Häßlersche Freistoßvarianten in petto? Oder Dieter Schlindwein das Potential, in Kirjakow-Art sechs Gegenspieler umtanzend Tor zu erzielen? Oder schlummern in Klaus Thomforde die Stürmerqualitäten eines Dirk Heyne? Oder... Ja, ja, schon gut. Träumen wird man ja noch dürfen. Katrin Weber-Klüver