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Die Überblender

■ Dia Saison: Mit 6 Projektoren computergesteuerte Vorträge über die Ferne, von Menschen wie du und ich

Noch hängen die Plakate überall: Panorama-Vision / Überblend-Technik mit 12 (!) Projektoren / Dia-Projektion mit Soft-Edge-Technik. SCHÖNER, GRÖSSER, BUNTER, so rufen die Werbeplakate von den Bauzäunen und Hauswänden: Im Winter ist Dia- Saison. Dann laufen die Projektoren heiß, und die Säle der Stadt sind ausgebucht: Australien, Sri- Lanka, Indien, Alaska — wer hat noch nicht, wer will noch mehr? Die Reisefieberkurve spielt verückt, fällt um Breiten-, steigt um Längengrade. Bis das nächste Fernziel ausgeguckt ist.

Das macht man am besten in großer Gesellschaft. In Sälen bis 500 Plätzen werden Erholung und Abenteuer vorweggenommen. Nach zwei Stunden bunter Bilder auf acht Metern Leinwand ist das trübe Grau der heimatlichen Stadt vergessen. Die kollektive Heiterkeit und das gemeinsam gestaunte „Oooh!“ über die Reiseerlebnisse eines Menschen wie du und ich regt an. Dafür kommen die Leute — und davon leben die Macher.

Überblender kennen die Bedürfnisse ihres Publikums. Sie müssen sie kennen, denn der Wettbewerb ist groß und der Aufwand auch. Der Bremer Dia-Techniker Andreas Pröve gibt den Anspruchvollen recht: „Die Leute können etwas für ihr Geld erwarten!“ Er selbst hat an seinem Vortrag über die letzte Indien-Reise lange gefeilt: „So lange wie die Reise selbst!“ Die Arbeit mit sechs computergesteuerten Projektoren verschlingt Zeit. Dia-Vorträge sind Leistungs-Schau: Projektionen mit zwölf Apparaten sind keine Seltenheit — doch Technik ist keine Gewähr für einen erfolgreichen Vortrag. Allerdings: Authentizität auch nicht!

„Was ich wirklich erlebt habe, läßt sich nicht darstellen“, lacht Andreas Pröve. „Natürlich könnte ich Auspufftöpfe mit stressiger Musik einblenden — aber das will ja niemand wissen! „ Trotzdem kapituliert er weder vor den Publikumswünschen, noch vor seinem Medium, dem Dia. Er jongliert mit den Bildern, relativiert ihre Wirkung mit Worten — und gibt auch dem BetrachterInnen-Wunsch nach schönen Visionen nach.

Nur wer fragt, erfährt, welche Mühe die Zeitraffer-Aufnahme von Bombays Wahrzeichen, dem „Gateway of India“ macht. „Einen ganzen Tag lang komme ich alle paar Stunden an dieselbe Stelle zurück und fotografiere.“ Dann wird der Fotograf zur Spinne im Netz der Kamera- Koordinaten. Er hängt fest, am immer gleichen Punkt, den er mit Kreide auf's Pflaster malt. Das Objekt im Fadenkreuz der Kamera vermerkt er auf Papier: „Wenn ich die Kamera nicht genau gleich einrichte, verrutscht das ganze Panorama.“ — Für die Zuschauerinnen vergeht der Lichtwechsel vom Tagesanbruch bis zum Sonnenuntergang in einem kurzen Augenblick.

Wer eine Reise als Dia-Schau präsentieren will, reist lichtbildgerecht. Aber nicht alles läßt sich bebildern. Auch mit der besten Technik ist der Breitwandblick aus Straßenschluchten in den Himmel nicht wiederzugeben: „Die Ansichten stürzen auseinander, die Hochhausfassade zerfällt!“ Glatte Fassaden und menschenleere Panoramablicke sind ohnehin nicht Pröves Vorliebe. Er zeigt Menschen. „Die kommen mir auf den Reisen am nächsten! „, erklärt der querschnittgelähmte Weltreisende.

Vielleicht hat er deshalb Erfolg: Er kann sich in Menschen hineindenken. Deshalb kreiert er manchmal Ansichten, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Vom Taj-Mahal zum Beispiel. In der ursprünglichen Planung des Mogulkaisers sollte das Monument aus weißem Marmor im Wasser mit einem ebensolchen schwarzen Denkmal verschmelzen. „In Wirklichkeit kam es dazu nie“, sagt Pröve, „vielleicht gut, denn da haben sich Sklaven zu Tode geschuftet!“ Aber für seinen Vortrag hat er das Bild erfunden. Als letztes: „Das ist das Schönste, das soll man sich immer zum Schluß ansehen!“ Eva Rhode

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