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Der natürliche Tod der Souffleuse Dorothea Z.

■ Trotz eindeutiger Asbest-Belastung am Theater gilt ein Lungenkrebs nicht als Berufskrankheit / Streit um Gutachten und Akteneinsicht

Der natürliche Tod der Souffleuse Dorothea Z.

Trotz eindeutiger Asbest-Belastung am Theater gilt ein Lungenkrebs nicht als Berufskrankheit / Streit um Gutachten und Akteneinsicht

Asbest ist ein tückischer Baustoff. Eine einzige Faser im Lungengewebe kann ausreichen, um Krebs hervorzurufen — „kanzerogen“ nennt man solche Stoffe. Bremen wird möglicherweise in den nächsten Jahren bundesweit die traurige Statistik als Stadt der meisten Asbest-Toten anführen — „nirgends gab es eine derartige Konzentration von Arbeitsplätzen mit starker Asbest-Exposition“, sagt der Landesgewerbearzt Dr. Giersiepen. Werften, Asbest- Zementindustrie, Hafen... Zehn, zwanzig Jahre und mehr ist die „Latenzzeit“, bis der Krebs ausbricht — „der Berg kommt noch“, sagt der Gewerbearzt. Erst seit den 70er Jahren ist das Asbest-Risiko bekannt, Konsequenzen werden erst in diesen Jahren gezogen.

Für Dorothea Zeidler war das zu spät. Die Frau starb im Juli 1991, 65jährig, an Lungenkrebs. „Asbestexposition als Souffleuse im Concordia-Theater“ steht in ihren Krankenakten. Drei Tage vor ihrem Tod hatte der technische Aufsichtsbeamte des Theaters notiert: „Bei der Probebühne in der Industriestraße und im Theater Concordia wurde asbesthaltiges Baumaterial verwendet.“ Das „schwachgebundene Material“ war „wegen starker Beschädigungen“ ausgewechselt worden, es war durch „stark gebundene“ Asbestplatten ersetzt worden. Frau Zeidler war täglich in diesen Räumen, oft unten im Soufflier-Kasten. Asbest-Teilchen sinken ab in der Luft.

Wie weit der Weg ist zwischen diesen eindeutigen Feststellungen und einer Anerkennung als Berufskrankheit, muß die Tochter der Souffleuse seit Monaten erfahren. Denn Röntgenaufnahmen können nur den „Verdacht auf asbestinduzierten Lungentumor“ begründen. Die histologische Untersuchung in der Bremer Pathologie ergab keinen Befund: „Es gelingt uns fast überhaupt nicht mehr“, schreibt Prof. Kößling in den Bericht, „in histologischen Schnitten Asbestköperchen mit dem bloßen Auge zu erkennen.“

Einen Beweis würde erst eine Spezialuntersuchung („Veraschung“) in der Pathologie in Bochum erbringen. Das St.-Jürgen-Krankenhaus schickt Lungengewebe ein — allerdings „vom verbliebenen oberen Lungenlappen“. Vom herausoperierten Krebs-Gewebe im unteren Lungenlappen ist „leider nichts mehr vorhanden“. Wo ist es geblieben? Wurde keine histologische Untersuchung der Krebszellen gemacht? Trotz mehrfacher Anwalts-Mahnschreiben, doch bitte Einsicht in die Krankenakte im ZKH Bremen-Ost zu gewähren, wo die Operation durchgeführt wurde, kam bis heute keine Antwort.

In Bochum konnten also auch nur die Proben aus dem oberen Lungenflügel spezialuntersucht werden. Ergebnis — negativ. Kann es sein, daß sich im unteren Lungenflügel durch Asbest ein Tumor entwickelt hat, im oberen Lungenflügel in drei Probkem aber kein Asebst nachweisbar ist? „Kann sein“, sagt der Bremer Pathologe Kößling.

Aber der Landesgewerbearzt, der das Gutachten für die Anerkennung als Berufskrankheit schreiben muß, kann sich nur auf das stützen, was gefunden wurde. „Wir kommen also zu dem Schluß, daß im vorliegenden Fall weder die haftungsbegründende noch die haftungserfüllende Kausalität mit der angezeigten Berufskrankheit als erfüllt anzusehen ist“, schreibt der Gutachter.

Bis heute ist noch keinem der Theater-MitarbeiterInnen, die jahrelang den Asbest-Baustoffen ausgesetzt waren, der Lungenkrebs als Berufskrankheit anerkannt worden. Bei der Tochter der Souffleuse Zeidler geht es nicht um Geld. Ihr geht es ums Prinzip, wenn sie bis zum letzten um die Anerkennung der Berufskrankheit kämpft: „Meine Mutter hätte das auch gemacht.“ K.W.

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