piwik no script img

Grüne drücken sich um Debatte

Eine Anhörung zum Thema „Rassistische Gewalt – Ursachen und Gegenwehr“ hinterfragt kaum die mögliche Verantwortung links-emanzipatorischer Pädagogik  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

„Ist ihnen eigentlich klar, zu wessen politischem Instrument Sie sich machen lassen?“ fragt Roland Appel, ein Wortführer der linken Grünen in NRW. Der Angesprochene, Professor Rainer Winkel, bleibt gelassen: „Ich bitte um Gegenargumente.“

Die Szene spielte am Montag nachmittag in Düsseldorf bei einer Anhörung der Grünen zum Thema „Rassistische Gewalt – Ursachen und Gegenwehr“. Der grüne Landtagsabgeordnete hatte zuvor suggeriert, das, was der professorale Referent vorgetragen habe, erkläre sich möglicherweise aus einem Kampf um Hochschulstellen – nicht aus der Sache heraus. Denn wer an deutschen Unis unerwünschte Positionen vertrete, müsse damit rechnen, daß seine Stelle „gestrichen“ werde. Die linksgrüne Lümmelei Appels gegen Rainer Winkel stand in der Tradition der Düsseldorfer grünen „GesinnungspolizistInnen“, die gerade erst ihre Kollegin Beate Scheffler öffentlich abzustrafen suchten. Winkel, der nicht nur in pädagogischen Fachkreisen über einen exzellenten Ruf verfügt, seit zehn Jahren Ordinarius an der Berliner Hochschule der Künste und einer der intellektuellen und praktischen Wegbereiter der freien Schulen in der alten Bundesrepublik, hatte Appels Zorn auf sich gezogen, weil er in der Substanz Beate Schefflers These zustimmte, daß auch die emanzipatorische Erziehung einen Teil der Verantwortung für die breite Desorientierung von Schülern und Jugendlichen trage.

Die zur realpolitischen Minderheit zählende Lehrerin Scheffler hatte in einer grünen Halbzeitbroschüre unter anderem geschrieben: „Ich halte die emanzipatorische Erziehung nach wie vor für richtig, muß aber feststellen: Wir haben unsere Erziehungsziele nicht erreicht. Statt der mündigen, sozial und ökologisch engagierten, politisch hochmotivierten Jugend hat unsere Erziehung eine Spezies hervorgebracht, die zum überwiegenden Teil egozentrisch, konsumorientiert und im schlimmsten Fall sogar gewalttätig und fremdenfeindlich ist. Was also ist schiefgelaufen?“

Die Linken mochten in dieser Provokation seinerzeit keinen kontroversen Diskussionsbeitrag erkennen, sondern schlicht „groben und gefährlichen politischen Unfug“. Ihre Vorwürfe, so hieß es in einer Stellungnahme, seien eine „Beleidigung einer ganzen grün- alternativen LehrerInnen- und Elterngeneration einschließlich ihrer wissenschaftlichen Mütter und Väter“. Keine Diskussion über den „Unfug“, lautete die Botschaft. In dem anschließenden öffentlichen Beben verwahrte sich so mancher der 68er antiautoritären Pädagogengeneration gegen diesen linksgrünen Reflex.

In der jetzigen Anhörung spielte die Frage nach der möglichen Verantwortung der linken Pädagogen nur am Rande eine Rolle. Statt dessen wurden alle längst breitgetretenen linken Erklärungsmuster wiedergekäut. Die einzige Ausnahme bildete Rainer Winkel, der darauf insistierte, daß ein Teil der Verantwortung für die Probleme an den Schulen auch bei der emanzipatorischen Pädagogik in Theorie und Praxis liege. Linke Schwarzweißmalerei zählte Winkel ebenso dazu wie die Instrumentalisierung von Kindern. Während etwa der linke Pädagoge Kamm in der emanzipatorischen Erziehung den „entscheidenden Geburtshelfer für eine sozialistisch gedachte Gesellschaft“ sah, sollte die linke Erziehung für Mollenhauer, wie er 1968 schrieb, „das Potential gesellschaftlicher Veränderung hervorbringen“. In solchen Entwürfen, so Winkels Kritik, sei es eben nicht darum gegangen, „den einzelnen zu befähigen, seinen eigenen Weg zu gehen“. Ganz praktisch mündete dieser Erziehungsanspruch in die Gründung der Gesamtschulen. Wer die kritisierte, so erinnert sich Winkel, wurde ausgegrenzt – auch von der linken Lehrergewerkschaft GEW. Zwei Jahre hat Winkel seinerzeit gebraucht, um einen kritischen Artikel zur Gesamtschule in der GEW-Zeitung unterzubringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen