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Bremen wahrt ... dieter, dies bitte mit dem Faksimile überkleben

■ Aus den Senatsprotokollen der NS-Machtergreifung / „Der Senat beschließt, das Hissen der Hakenkreuz-Flagge geschehen zu lassen

Am 6. März 1933 übernahm die NSDAP nicht nur in Berlin — sie hatte die Reichstagswahlen am 5.3.1933 gewonnen — sondern auch in Bremen die Macht. NSDAP-Mann Dr. Markert, der spätere „Präsident des Senats“ der Nazis, wurde vom Reichsinnenministerium als Polizeikommissar eingesetzt. Mit der Polizei im Hintergrund, das war den Nazis klar, hatten ihre bewaffneten Formationen SS und SA die Macht. Am 5. März war das dem Bremer Senat in aller Deutlickeit schon demonstriert worden: Gegen ein ausdrückliches Verbot konnten die Nazis eine Demonstration auf dem Domshof durchsetzen.

Am 7. März 1993 erschien die „Weser-Zeitung“ des Schünemann-Verlages mit der dicken Schlagzeile: „Bremen wahrt seine Besonnenheit, Ruhe und Ordnung“. Unter der Überschrift war die Erklärung des Rücktrittes der drei sozialdemoratischen Mitglieder des Senats im Wortlaut abgedruckt, die zur Begründung anführten, daß der Senat die Beflaggung des Rathauses mit schwarz-weiß-rot beschlossen habe. Die drei Sozialdemokraten Kaisen, Klemann und Sommer begründeten ihren Austritt aus dem Senat damit, daß sie „diesen Beschluß nicht mit ihrer Verantwortung decken zu können glauben“. Der Schriftleiter der Weser-Zeitung, Georg Borttscheller, schreibt dazu im Leitartikel, der Rücktritt habe früher kommen müssen.

Was hat die Bremer Landesregierung in den Tagen um den 6. März beschäftigt? Im Bremer Staatsarchiv liegen die Protokolle der Senatssitzungen.

Sitzung des Bremer Senats

Freitag, 24. Februar 1933

Auf der Tagesordnung des Senats steht die Schulleiterstelle am Lyzeum Janson, die neu zu besetzen ist. Danach bestätigt der Senat sein Verbot des NS- Umzuges am Vorabend der Wahl, dem 4.3.1933.

In derselben Sitzung beschließt der Senat, „zwei mit Ruhegehaltsberechtigung ausgestattete Studienratsstellen beim Freien-Erwerbs- und Ausbildungsverein, vorbehaltlich der Beibringung eines ärztlichen Gesundheitszeugnisses“, an Frau Sch. und Frau G. zu vergeben.

In die Bürgerschaft soll das „Denkmal-und Naturschutzgesetz“ eingebracht werden.

Sitzung des Bremer Senats

Dienstag, 28.2.1933:

Der Leiter einer Volksschule war drei Monate krank, der Senat beschließt seine Unterstützung mit einer „Notstandsbeihilfe“ von 201.90 Mark.

Bürgermeister Spitta fragt unter Hinweis auf den Reichstagsbrand, ob ein „verstärkter Brandschutz für das Rathaus“ erforderlich sei.

Der Senat beschließt, Frau L. als „lästige Ausländerin“ aus dem bremischen Staatsgebiet auszuweisen, „weil sie der Gewerbsunzucht nachgehe.“ Der Anwalt der Frau, so wird im Bremer Senat vorgetragen, argumentiere dergestalt, daß der Mann der Frau in Bremen seinen ständigen Wohnsitz habe. Deshalb müsse sie auch in Bremen wohnen. Der Senat beschließt, nur bei einem „geordneten Lebenswandel“ könne man von der Ausweisung absehen.

Das Thema nimmt im Protokoll des Bremer Senat deutlich mehr Raum ein als die Frage des Brandschutzes für das Bremer Ratshaus.

Der Senat befaßt sich an jenem Dienstag, fünf Tage vor der Machtergreifung der Nazis, mit der Droschkenordnung. Der sozialdemokratische Senator Klemann stellt das Gesetz zum Verbot der Nebentätigkeiten für Beamte vor.

Der Senat beschließt eine Besoldungsordnung für Abteilungsleiter im Hygiene-Institut und stellt fest, daß die Satzung der neu eingerichtet Stiftung Heidberg „nicht zu beanstanden“ sei.

Donnerstag, 2. März 1933

Sondersitzung des Bremer

Senats drei Tage vor der Machtergreifung der Nazis:

Die Reichsregierung verlangt, daß die sozialdemokratische „Bremer Volkszeitung“ ... „zum Schutz von Volk und Staat“ eine Woche lang verboten wird wegen „ständiger Volksverhetzung“. Der vortragende Referent erklärt, wenn der Bremer Senat dies nicht tue, laufe man Gefahr, daß die Reichsregierung es direkt tue.

Der Präsident des Senats, Donandt, plädiert dafür, dieses Verbot auszusprechen, „weil Bremen es nicht auf einen Eingriff der Reichsregierung ankommen lassen dürfe“. Das Verbot müsse aber „in eine Form gekleidet“ werden, „die keinen Zweifel darüber lasse, daß es sich um eine Ausführung eines Ersuchens des Reichsministers des Inneren handele“. einen Hinweis auf eine Debatte enthält das Protokoll nicht. Der Senat beschließt das Verbot der KP-Zeitung — mit den Stimmen der SPD-Mitglieder. Nach dieser Woche — am 10. März - erscheint die „Bremer Volkszeitung“ noch einmal, ein letztes Mal — die Nazis an der Macht verwandeln das Verbot des demokratisch gewählten Bremer Senat sofort in eine dauerhafte Unterdrückung der Zeitung.

Sitzung des Bremer Senats

Freitag, 3.3..1933:

Das Bremer Staatstheater hat seinen Haushalt überzogen. Finanz-Staatsrat Duckwitz befürchtet ein Defizit von 23 Millionen.

SPD-Senator Klemann sieht die „Gefahr, daß von kommunistischer Seite im Geschäftsbereich der Feuerwehr Sabotage- Akte begangen würden“ und berichtet, daß er den beiden als KP- Mitglieder bekannten Feuerwehrleuten Killer und Keßler „die Ausübung ihrer Amtsvorrichtungen vorläufig untersagt“ hat. Der Senat stimmt zu.

Samstag, 4.3..1933, Sondersitzung des Bremer Senats am Vortag der Machtergreifung der Nazis:

Die Zeitung der Nazis ruft trotz des Verbots auf zu der Kundgebung nachmittags auf dem Domshof. Der Senat ist ratlos. Bürgermeister Donandt führt Gespräche mit dem örtlichen NSDAP-Führer Bernhard. Da die Bremer Polizeiführung unter Oberst Caspari erklärte, ein Verbot der Kundgebung ließe sich nur mit Waffengewalt durchsetzen, erlaubte der Senat die Kundgebung schließlich „ausnahmsweise“.

Montag, 6.3..1933, Sondersitzung des Bremer Senats

Aus Berlin ist ein Telegramm gekommen, das den NSDAP- Mann Dr. Markert zum Polizeichef erklärt. Der Bremer Senat geht zunächst davon aus, daß der Innensenator damit nicht völlig entmachtet ist, weil er auch andere Funktionen als die der polizeilichen Hoheit hatte.

Vom Reichsinnenminister Frick liegt zudem ein Telegramm vor, das ultimativ den Rücktritt der „drei marxistischen Senatoren“ fordert. Der Bremer Senat debattiert lange darüber, auf welcher gesetzlichen Grundlage denn ein Rücktritt des gesamten Senats erfolgen könne. „Der Präsident, Bürgermeister Donandt, führte aus, daß man die nationalsozialistischen Unterhändler möglicherweise mit der Erklärung zufriedenstellen könne, daß der Senat unter dem Druck der gegenwärtigen Lage seinen Rücktritt ins Auge gefaßt habe, und daß er die Bürgerschaft bitten werde, diese Rücktrittserklärung zu genehmigen. Ob allerdings im Falle eines solchen Rücktritts die Pensionsansprüche der ausscheidenden Senatoren gesichert seien, bleibe zweifelhaft.“

Vor dem Rathaus demonstrieren die Nazis. (siehe unser dokumentarisches Bild)

Die drei sozialdemokratischen Senatoren Kaisen, Klemann und Sommer sind zum sofortigen Rücktritt bereit. Gemeinsam beschließt der Senat, sich der Forderung des Reichsinnenministers zu beugen, obwohl die Legitimation der Bremer Bürgerschaft durch das Reichstagswahlergebnis nicht infrage gestellt ist — an der Weser haben die Gegner der Nazis 53 Prozent der Stimmen behalten können.

Begründung des sozialdemokratischen Rücktritts: „weil sie in dem Beschluß des Senats über das Setzen der Schwarz-weiß-roten Flagge auf dem Ratshaus das Symbol einer Änderung der von Senat bisher verfolgten Politik erblicken, und weil sie diesen Beschluß nicht mit ihrer Verantwortung decken zu können glaubten“.

Ein Rücktritt des gesamten Senats, so stellt das Gremium fest, sei aus Gründen der Bremer Verfassung nicht möglich.

Sitzung des Bremer Senats

Dienstag, 7.3..1933:

Der Senat ändert seine Geschäftsverteilung, um die Zuständigkeiten der drei ausgeschiedenen SPD-Kollegen neu zu verteilen.

Und dann kommt die Bremer Landesregierung auf den Fall des Lyzeums Janson zurück. Das Kollegium hat sich gegen den Vorschlag des Senats zu einer neuen Leitung gestellt.

Im weiteren Verlauf seiner Sitzung beurlaubt der Senat zwei Hauswirtschafts-Lehrerinnen.

Der Landwirt Kaemena ist gestorben, ein neuer Beisitzer des Pachteingangs-Amtes ist zu bestellen.

Dem Senat wird von Hinweisen berichtet, daß an der Seefahrtsschule abends die Hakenkreuzflagge gehißt werden soll. „Der Senat beschließt, das Hissen der Hakenkreuz-Flagge geschehen zu lassen.“

Die Frage wird aufgeworfen, welche Beflaggung man für den Volkstrauertag anordnen soll. Der Bremer Senat beschließt: die bremische Flagge und die preußische, die Schwarz-weiß.rote (und nicht die schwarz-rot- goldene der Weimarer Demokratie)

Der Leitartikel des Hauptschriftleiters Borttscheller rät dem Senat vorauseilende Anpassung an die herrschenden Machtverhältnisse, nur so könne Bremen seine Freiheit bewahren. (s. Faksimile) K.W.

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