■ Gastkommentar: Arbeitsamt belagern!
Noch hält die Wut über die Arbeitslosigkeit und den ABM- Stopp an – vor allem im Ostteil der Stadt. Doch die entscheidende Frage ist, ob die Diffamierten, Engagierten und Verantwortlichen einen Zahn des Protestes und Konfliktes zulegen wollen und können. Spätestens seit der letzten Montagsdemonstration zum ABM- Stopp scheint klar: noch zwei solcher Demonstrationen vor einem menschenleeren Arbeitsamt und einer Blüm-Außenstelle, und die Luft ist raus. Deshalb reagierten die Protestierenden sehr positiv, als die Sprecherin Gudrun Vinzing eine gewaltfreie Belagerung des Landesarbeitsamtes anmahnte. Der Vorschlag ist richtig: einen Zaun nachts um das Landesarbeitsamt ziehen, um die Behörde arbeitsunfähig zu machen und mit den Forderungen zu konfrontieren. Und wir, die Arbeitsmarktexperten, Vertreter von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Trägergesellschaften, müssen mitmachen. Der Arbeitslosenverband muß endlich kapieren, daß nicht der Verband, sondern die Arbeitslosen wichtig sind, daß die Sitze an den Katzentischen der Macht unwichtiger sind als die Mobilisierung und Radikalisierung der Betroffenen. Der Verband und viele andere Projekte stehen vor einer Bewährungsprobe ihrer Glaubwürdigkeit.
Aber auch die politisch Verantwortlichen müssen endlich zu radikaler Symbolik finden, wenn sie noch in den Spiegel der verantwortlichen Betroffenheit schauen wollen. Die Senatorin Bergmann und die Ministerin Hildebrandt sollten zu den Solidarpakt-Verhandlungen für drei Tage die offizielle Arbeit aus Protest niederlegen. Sie sollten zeigen, daß sie eigentlich nicht mehr verantworten können, was sie tun. Und die Arbeitslosen könnten es als ein Signal echter Solidarität und Ermutigung ansehen.
In einer dramatischen Situation müssen sich auch die Forderungen für die Arbeitslosen und Demnächst-Arbeitslosen dramatisch zuspitzen. Es geht nicht nur um Brosamen aus Bonn, Geld und Aufhebung des ABM-Stopps, sondern darum, gesellschaftlich sinnvolle Arbeit auch gesellschaftlich zu bezahlen. Wenn die Haushaltskassen wenig Spielraum lassen, dann muß das Geld für solche Arbeitsplätze eben über die Banken vorfinanziert werden. Dabei ist nicht nur Bonn, sondern auch Berlin gefragt: Es wäre doch alle Ehren eines Regierenden Bürgermeisters wert, zusammen mit den Senatoren Meisner, Pieroth und Bergmann die Bankenvertreter auf die Couch zu setzen, um mit ihnen ein Arbeitsplatzkreditprogramm für 50.000 Arbeitslose der Stadt auszuhandeln. Die Banken finanzieren vor, der Staat bürgt – und 50.000 Menschen dieser Stadt hätten für zwei bis drei Jahre einen sicheren Arbeitsplatz. Aber ein solches unkonventionelles Projekt hat wohl erst eine Chance, wenn der Konfliktpegel steigt. Deshalb ist die gewaltfreie Belagerung des Landesarbeitsamtes der nächste Schritt. Peter Grottian
Der Autor ist Professor für Politik an der FU
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