: Post für "den Kohlkopf der Nation"
■ Ein 46jähriger Arbeitsloser schickte Pampfhlete mit Hitler-Porträt an Parteien / Für den Richter nur eine "Geschmacksfrage"
mit Hitler-Porträt an Parteien/Für den Richter nur eine „Geschmacksfrage“
„Deutschland den Deutschen!“ Diese Parole vertritt vermutlich auch Kurt H. Er sieht aus wie der Prototyp jener „häßlichen“ Deutschen, wie man sie nicht mehr sehen möchte: selbstherrlich, Bierbauch, Suffkopf, nationalistisch. Auch sein äußeres Erscheinungsbild gestern auf der Anklagebank im Amtsgericht Altona war „typisch deutsch“ mit Quelle-Plastik-Jogginganzug und Hauspuschen.
Zwei Delikte wirft die Anklage dem 46jährigen vor: Zum einem hat er einen Taxifahrer getreten. Kurt H. hatte am 19. November 1991 ein Kombi-Taxi zum Spritzenplatz bestellt, um mit seiner Lebensgefährtin samt Baby und Kinderwagen nach Hause zu fahren. Es kam aber eine normale Droschke.
Wutentbrannt stratzte Kurt H. zum Altonaer Bahnhof und bestieg dort ein Kombi-Taxi. Auf dem Weg zum Spritzenplatz beschimpfte er den Fahrer, der dem gleichen Taxiruf angehörte: „Scheiß Taxifahrer — in ganz Hamburg ist Kombi zu kriegen.“ Am Spritzenplatz hatte der Droschkenführer die Faxen dicke — für Kurt H. sollte die kurze Fahrt zu Ende sein.
Doch der selbstherrliche und angesoffene Deutsche weigerte sich, den Fahrpreis von 5.40 Mark zu bezahlen. Es kam zum Gerangel, in dessen Verlauf er beim Aussteigen — wie auch immer — dem Taxifahrer ins Gesicht trat. Bilanz: Gehirnerschütterung. Der genaue Hergang muß immer noch aufgeklärt werden.
Die zweite Anklage hat die Staatsanwaltschaft erst vor wenigen Tagen nachgeschoben. Danach hat Kurt H. im September 1992 erst mehreren SPD- und GAL-Bezirksfraktionen und dann der Jüdischen Gemeinde Telefaxe mit einem Porträt von Adolf Hitler beim Hitlergruß zugeschickt. Darauf war handgeschrieben zu lesen: „Junge, komm' bald wieder, dann bauen wir wieder jüdische Erholungsheime.“ Einige Tage später schickte er Landtagsfraktionen gleichlautende Pamphlete. Sogar der oberste Deutsche Helmut Kohl bekam Post aus Hamburg. In dem Schreiben, das „an den Kohlkopf der Nation“ und seine „Kohlkopfminister“ gerichtet war, beklagte er sich über die Ausländerpolitik.
Weil der Wahlanwalt Rainer Köhnke sich weigerte, Kurt H. im nachgezogenen Anklagepunkt zu verteidigen, wollte Amtsrichter Holger Randel diesem auch ohne anwaltliche Vertretung den Prozeß machen. Es sei ja nur eine „Geschmacksfrage, wo jemand politisch radikal steht.“ Für die Staatsanwaltschaft geht es allerdings nicht um eine „Geschmacksfrage“, sondern um die „Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen.“ Da Kurt H. beharrlich schwieg, wurde der Prozeß auf den 18. März vertagt. Kai von Appen
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