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Kreiskys Dandys stehen vor Gericht

Österreich rechnet mit seinen „politischen Talenten“ der achtziger Jahre ab/ Ehemalige Regierungsspitze wegen Vertuschung illegaler Waffenlieferungen an den Iran angeklagt  ■ Aus Wien Robert Misik

Dreimal die Woche, frühmorgens, schleppt sich der einst mächtigste Mann der Republik mit seinem nervenkranken Bein in den Pendlerzug, der ihn aus dem burgenländischen Provinznest Neufeld nach Wien bringt. Dort muß Fred Sinowatz, Nachfolger Bruno Kreiskys als österreichischer Bundeskanzler, in den nächsten vier Monaten vor seinem Richter erscheinen. Der Regierungschef ist des Amtsmißbrauchs angeklagt.

Mit ihm steht seit vergangenem Mittwoch praktisch der gesamte innerste Kreis der österreichischen Regierung der siebziger und achtziger Jahre vor Gericht. Angeklagt sind der ehemalige Innenminister Karl Blecha und der einstige Wiener Bürgermeister, Außenminister und spätere Parlamentspräsident Leopold Gratz. Der Vorwurf des Amtsmißbrauchs stützt sich auf das noch weitergehende Delikt der „Neutralitätsgefährdung“ – allerdings taucht dieses nicht in der Anklageschrift auf. Sinowatz, Blecha und Gratz sollen gewußt haben, daß genehmigte Waffenlieferungen der Kanonenschmiede Noricum nicht wie angegeben nach Libyen gingen, sondern an den Iran. Der stand damals im Krieg mit dem Irak – Lieferungen in Krisengebiete waren dem neutralen Österreich aber verboten. Die Politiker hätten, so heißt es in der Anklage, nachdem sie von den illegalen Transfers erfahren hatten, Hinweise darauf und auf ihre eigene Verstrickung vertuscht und Beweise verschwinden lassen. Zwar geht niemand so weit, den Politikern persönliche Bereichung vorzuwerfen, doch mit Blick auf die prekäre Arbeitsplatzsituation der verstaatlichten Waffenfabrik sollen sie an dem Gesetzesbruch mitgewirkt haben.

All das war schon Gegenstand parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, deren Arbeit im Rücktritt von Blecha und Gratz gipfelte – Sinowatz hatte schon nach der verlorenen Präsidentschaftswahl 1986 die Regierungsgeschäfte an Franz Vranitzky übergeben. Sinowatz und Gratz fristen seitdem – wie es heißt, an der Politik und am Leben verzweifelt – ein Rentnerdasein, Blecha hingegen nützt als umtriebiger Geschäftsmann seine vielfältigen Kontakte, um Ost-Investitionen anzubahnen. Der Prozeß gilt als letzter Akt einer großen politischen Tragödie. Denn Gratz und Blecha galten als die großen Talente der österreichischen Politik. Sie entstammten, wie der einstige Vizekanzler Hannes Androsch, der schon an der Wende der siebziger zu den achtziger Jahren gestolpert war, einer Generation, die am Hof des „Sonnenkönigs“ Bruno Kreisky zu Würden kam und frischen Wind in die Politik brachte.

Sie prägten die Ära Kreisky wohl ähnlich nachhaltig wie dieser selbst. Gratz, der geistreiche Parvenue, der einer der populärsten Bürgermeister Wiens wurde. Blecha, das kraftvolle und kumpelhafte Kommunikationstalent, zu dessen liebsten Jugenderinnerungen trotz aller Polit-Pragmatik die vergilbten Fotos an der Seite von FLN-Kämpfern im algerischen Bürgerkrieg zählen. Und als Kern dieses Kreises Androsch, unbestritten das größte politische Talent der Nachkriegszeit. Sie alle verband ihr dandyhafter Charakter, ihr Hang zu Verstrickungen in Freund- und Kumpelschaften, die manchmal ins leicht mafiose abzugleiten drohten: Kein Wunder, daß ihre Namen auch in der „Lucona- Affäre“ auftauchen. Deren Hauptprotagonist, der Wiener Zuckerbäcker Udo Proksch, verbüßt eine lebenslange Haftstrafe, weil er ein Schiff samt Besatzung in die Luft gesprengt haben soll, um die Versicherungssumme zu kassieren.

Erfolgsverwöhnt und wohl auch machtversessen pflegten sie bisweilen recht sonderbare Praktiken und zogen damit manchen Zorn auf sich. Das allgemeine Unbehagen, das Mitte der achtziger Jahre nach eineinhalb Jahrzehnten SPÖ- Regierung vorherrschte, zielte nicht zuletzt auf sie. Auch scheinen sie den öffentlichen Wertewandel nicht rechtzeitig begriffen zu haben. So wäre Mitte der siebziger Jahre die Verwicklung in illegale Waffentransporte Politik und Medien kaum der langen Rede wert gewesen, auch Halbweltkontakte hätten niemanden sonderlich aufgeregt, solange persönliche Verstrickung nicht nachgewiesen wurde. Insofern sind die Skandale, die in den achtziger Jahren Österreich erschütterten, mit den gegenwärtigen Ereignissen in Italien ebenso vergleichbar wie mit der Skandal-Mode in Deutschland.

All das wäre der Angeklagten persönliche Tragödie, wäre da nicht dieser Prozeß und diese 406 Seiten dicke Anklageschrift. Das Verfahren sehen nämlich immer mehr Beobachter als „ein staatspolitisches Trauerspiel“ (so der Ex- FPÖ-Chef Norbert Steger). Für den Wandel in der öffentlichen Moral sollen ausgesuchte Opferlämmer büßen. Leopold Gratz hält den Prozeß gegen sich und seine Mitangeklagten für ein „antikes, griechisches Drama“, von dem er aber hoffe, daß es „wie ein Lustspiel enden wird“: mit Freisprüchen. Sein Nachfolger, Wiens Bürgermeister Helmut Zilk, plädiert indes als erster Politiker von Bedeutung bereits für die sofortige Beendigung des Prozesses: „Das gesamte Verfahren sollte sofort eingestellt werden.“

Zumal die Grundlage des Prozesses nicht mehr besteht: Die „Neutralität“, aus der sich ja erst ableiten läßt, daß Österreich nicht durch Waffenlieferungen in Krisenregionen Partei ergreifen darf, ist faktisch längst obsolet, der geplante Beitritt zur EG wird dieses staatsrechtliche Prinzip des Nachkriegs-Österreichs endgültig außer Kraft setzen. Andererseits scheint eine Einstellung des Prozesses in diesen Zeiten unmöglich: Die politikverdrossene Bevölkerung würde das nur als weiteren Beweis für Kungelei nehmen. Sollte am Ende ein Schuldspruch stehen, ist am ehesten mit einer bedingten Strafe zu rechnen – die Höchststrafe von fünf Jahren Haft ist bloß rechtlicher Spielraum. Gestraft wären die Angeklagten auch sonst genug, nämlich durch ihren Bankrott. Selbst der erfolgreiche Geschäftsmann Karl Blecha hat schon alle Ersparnisse in Anwaltskosten investiert. Bei Kanzler Vranitzky wurde zwar brieflich angefragt, ob die Regierung nicht einen Teil der Kosten übernehmen möge – der schrieb aber nicht einmal zurück.

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