■ General Morillon will in Srebrenica ausharren: Solche Männer brauchen wir!
„Glücklich das Land, das keine Helden braucht“ – Brecht hoffte auf eine Gesellschaft, in der das äußerste Lob für die Arbeit eines Menschen in dem Urteil bestehen sollte, er sei seinen Mitmenschen nützlich gewesen. Von dieser Sorte freundlichen Utilitarismus sind wir weiter entfernt denn je. Denn je mehr wir vor jedem individuellen Risiko – beispielsweise zum Schutz bedrängter Ausländer – zurückschrecken, desto mehr wächst unser Heißhunger nach Heldentum auf entfernteren Schauplätzen bzw. Schlachtfeldern. Selbst der zeigestockbewehrte, wohlbeleibte Norman Schwarzkopf konnte mangels deutscher Akteure 1991 von diesem Bedürfnis profitieren. Jetzt also haben wir einen neuen Helden, silberhaarig, drahtig, mit vier Sternen dekoriert: den französischen General Morillon, den Kommandanten der Unprofor in Bosnien-Herzegowina, der in dem von serbischen Truppen belagerten Srebrenica ausharren will, um die Bevölkerung vor Massakern nach der drohenden Einnahme der Stadt zu schützen.
Im Gegensatz zu den eingeborenen Muslimanen, die in Erdlöchern kauernd und schlecht bewaffnet (dafür haben wir gesorgt) sich nur ihrer schäbigen Haut erwehren, ist Morillon ein echter, ein fränkischer Held, idealistisch, nonkonformistisch und bereit, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung zum Beispiel für den bedauerlichen Zwischenfall im Januar dieses Jahres, als der stellvertretende bosnische Ministerpräsident Turajlic von serbischen „Freischärlern“ aus einem gepanzerten Unprofor-Fahrzeug geholt und vor den Augen ebenso konsternierter wie untätiger (französischer) UNO-Soldaten umgebracht wurde. Er betrachte diesen Vorfall als „persönliche Niederlage“, ließ der tapfere General wissen. Zuletzt stellte er seine humane Gesinnung und seine Unbestechlichkeit gegenüber den diversen Nationalismen dadurch unter Beweis, daß er, nachdem er unter Einhaltung einer angemessenen Frist das von serbischen Truppen eroberte Cerska besichtigt hatte, erklärte, er habe keine Anzeichen für Massaker bemerkt.
Die volle Bedeutung von Morillons Wagemut erschließt sich uns allerdings erst dann, wenn wir die Beratungen zur Kenntnis nehmen, die Mittwoch letzter Woche im NATO-Hauptquartier zu Brüssel stattgefunden haben. Dort ging es um das leidige, bislang ungelöste Problem, wer das Kommando über die UNO- Truppe übernehmen solle, die die Verwirklichung des Vance-Owen-Plans überwachen soll, falls dieser in Kraft tritt. NATO oder WEU, ein amerikanischer oder ein französischer Oberbefehlshaber. Lassen wir uns nicht durch den Hinweis beeindrucken, daß seit den Tagen des Generals Foch kein amerikanischer Soldat je unter fremdem Kommando diente. Unser Mann sitzt bereits abrufbereit in Srebrenica! Christian Semler
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