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Die RAF als Lebenselixier

■ Der Gefängnisseelsorger Hubertus Janssen spricht von katastrophalen Fehlentscheidungen der Justiz im Umgang mit den RAF-Gefangenen

Berlin (taz) – Für den langjährigen Gefängnisseelsorger in der Haftanstalt Diez, Hubertus Janssen, steht fest: Wer sich mit der Person des Generalbundesanwaltes Alexander von Stahl näher beschäftigt, „bekommt unweigerlich den Eindruck, daß er traumatisch auf die RAF als Feindbild fixiert ist“. Manche seiner Äußerungen, sagt der Pfarrer in Limburg-Eschhofen, lassen den Schluß zu, „daß er ohne die RAF als Lebenselixier nicht leben kann“.

Das Verhalten des Generalbundesanwaltes ist für Janssen symptomatisch für den Umgang der Justiz mit dem Thema RAF. Als „katastrophale Fehlentscheidungen“ wertet er die kürzlich getroffenen Beschlüsse der Oberlandesgerichte in Hamburg und Düsseldorf, wonach die seit über 15 Jahren inhaftierten RAF-Gefangenen Christine Kuby, Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe und Lutz Taufer nicht vorzeitig aus der Haft entlassen wurden. „Schlichtweg falsch“ nennt Janssen auch die Auffassung des Düsseldorfer Gerichtes, daß für eine vorzeitige Strafaussetzung ein psychatrisches Gutachten notwendig sei. Die Gefangenen seien den Justizbehörden im Entlassungsprozedere „eindeutig entgegengekommen“ – ihm dränge sich der Verdacht auf, „daß immer wieder ,Unterwerfungsriten‘ abverlangt werden“. Als „schlimmes Trauerspiel“ bezeichnet Janssen weiter, daß der schwerkanke Bernd Rößner nicht – wie angekündigt – durch den Bundespräsidenten begnadigt, sondern lediglich durch die Bundesjustizministerin für vorläufig 18 Monate auf freien Fuß gesetzt wurde. Die starre Haltung der Gerichte und der Bundesanwälte gefährdet für Hubertus Janssen die nach dem früheren Bundesjustizminister benannte „Kinkel-Initiative“. Mit ihr sollte über eine vorzeitige Haftentlassung einzelner RAF-Gefangener eine Aussöhnung des Staates mit dem politisch motivierten Terrorismus der RAF versucht werden. Doch was anfänglich als neue Linie der Regierung Kohl erschienen sei, verschwinde nunmehr „im Gestrüpp von Zuständigkeiten“. Im Januar 1992 noch sei der Kanzler, so Janssen, „mit dem Kinkel-Konzept einverstanden“ gewesen – vor allem, weil dieses indirekt darauf zielte, Prominente aus Politik und Wirtschaft vor weiteren Attentaten zu schützen. Nach der Gewaltverzichtserklärung der RAF scheine dieses Motiv nun weggefallen und damit auch der Wille, nach mehr als 20 Jahren des bewaffneten Kampfes eine politische Lösung zu suchen. Für den Pfarrer, der selber über Jahre RAF-Häftlinge betreut hat, sind dies „vertane Chancen, die schlimme Folgen haben könnten, wofür dann auch „der Staat mitverantwortlich sein wird“.

Wie sich die Haltung der Sicherheitsbehörden bei den RAF-Gefangenen niederschlägt, zeigt sich in einem im „Angehörigen-Info“ am 10. März veröffentlichten Brief der Gefangenen Brigitte Mohnhaupt. Sie verteidigt den Schritt der RAF-Aktiven, „die bewaffnete Aktion jetzt auszusetzen“, kritisiert aber, daß in der Gewaltverzichts-Erklärung vom April '92 diese Aussage mit der Forderung nach der Freilassung der Gefangenen verknüpft wurde. Im Ergebnis komme so als „politische Vermittlung rüber, als ob die RAF-Entscheidung in eine Erwartungshaltung an den Staat mündet: daß der nun, quasi als Antwort, eine Lösung für die Gefangenen zuläßt“. Die RAF, konstatiert die Inhaftierte, habe „dem Staat nichts ,angeboten‘ – keinen Deal, weil sie sowieso das Handtuch werfen und vorher schnell das Gefangenenproblem ,bereinigen‘ will“.

Ein Märchen sei auch, daß es im Umgang mit den RAF-Gefangenen „zwei Fraktionen im Staat“ gebe. Das Verhalten der Bundesanwaltschaft „ist die ,Kinkel-Initiative‘. Sie setzt sie um auf der praktischen Ebene: Justiz/Vollzug, wie sie seit 1970 die politische Linie gegen uns umsetzt.“ Angesichts der Stagnation der „Kinkel-Initiative“ darf sich keiner der Verantwortlichen wundern, daß solche Schlüsse gezogen werden. Wolfgang Gast

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