: Wer will ein fleißiger Handwerker sein?
■ ... der/die kann zumindest das Tischlern bei den autonomen jugendwerkstätten lernen - auch ohne Schulabschluß
lernen — auch ohne Schulabschluß
Kaum einer der Auszubildenden in der Tischlerei schaut bei der Arbeit hoch. Allesamt sind sie mit ihrem Werkstück beschäftigt. Nur ab und zu geht ein Blick in Richtung
1Meister, der dem emsigen Treiben zusieht. Ist es nur das natürliche Unbehagen, das Lehrlinge ergreift, weil sie bei der Arbeit beobachtet werden, oder stehen die fünf Azu-
1bis unter dem Joch ihres Meisters Jürgen? Der Eindruck täuscht. In der Tischlerei der „autonomen jugendwerkstätten“ (ajw) heißt das Zauberwort „Zielgruppenorientierte Ausbildungspädagogik (ZAP)“. Laut Angelo Wehrli, Geschäftsführer bei ajw bedeutet das, „daß jemand, der auf dem freien Markt gute Chancen hat, bei uns keine Chance hat“. Es werden Jugendliche und Jungerwachsene eingestellt, die in „normalen“ Betrieben keinen Ausbildungsplatz bekommen, weil sie: keinen oder einen schlechten Schulabschluß haben, Probleme mit Drogen haben, Mädchen sind, die auf dem „freien Markt“ noch immer keinen technischen Beruf erlernen können oder AusländerInnen sind.
Tischlermeister Jürgen Sänger arbeitet seit acht Jahren für die autonomen jugendwerkstätten. „Ich arbeite einfach gerne mit jungen Menschen“, erzählt der 50jährige. Doch manchmal ist Sängers Geduld am Ende: Silke hat mit ihrem Beitel eine zu tiefe Kerbe in den Rahmen getrieben, der nun ausgebessert werden muß. Jürgen Sänger meckert wie jeder „normale“ Meister, beruhigt sich jedoch schnell und erklärt, wie sie in Zukunft solche Fehler vermeiden kann.
Stefan Brunke, Sozialpädagoge und Tischlergeselle, sagt, daß die Jugendlichen natürlich lernen müßten, wie in einem normalen Betrieb zu arbeiten: „Wir bilden außerbetrieblich aus. Das heißt, daß wir uns zwar hervorragend mit den Ausbildungsaufgaben beschäftigen können, Arbeiten unter Termindruck aber zum Beispiel fehlen.“ So werde auch Wert auf die „guten deutschen Tugenden“ wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit gelegt. Einen „Hauch von Wirklichkeit“ erleben die Lehrlinge in einem dreiwöchigen Praktikum. Dort werden sie entsprechend ihres Ausbildungsstandes eingesetzt und müssen zeigen, was sie können. Daß sie was können, kann man sehen: So stammen fast die kompletten Innenausbauten der Tischlerei aus eigener Herstellung. Jürgen Sänger legt zudem Wert auf traditionelle Fertigungstechniken wie zum Beispiel die Zinkenverbindung: Dabei werden Zinken so in Holzbretter eingearbeitet, daß sie wie Puzzlestücke ineinandergreifen können.
Ahmed Shah hat diese Technik längst drauf: Er ist bereits im dritten Lehrjahr und wird im Juni seine Gesellenprüfung ablegen. Der 27jährige möchte danach am Theater arbeiten und dort zum Beispiel die Bühnendekoration bauen.
Vom 23. bis 31. März können die autonomen jugendwerkstätten besichtigt werden. Infos: 431257. Andrew Ruch
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