: Gaza-Streifen: eine „Straße der Angst“
■ Im Flüchtlingslager Khan Junis schießen Israels Soldaten auf Passanten
Khan Junis (AFP) – In einer Hand eine Tasche mit Lebensmitteln, an der anderen ihren fünfjährigen Sohn, rennt eine Palästinenserin so schnell sie kann über die Straße. In einer Türöffnung sucht sie Deckung, holt noch einmal tief Luft und hastet entlang der Mauer zur nächsten Tür. Die Frau in der Baherstraße im palästinensischen Flüchtlingslager Khan Junis im Gaza-Streifen läuft um ihr Leben. Seit Dienstag letzter Woche spielt sich in der „Straße der Angst“ täglich das gleiche Drama ab.
Um sechs Uhr morgens beziehen israelische Posten Stellung auf den Dächern der elenden Behausungen. Jugendliche, für die die Besatzer über ihren Köpfen nichts als Provokation sind, werfen sogleich Steine. Die Soldaten zögern nicht, das Feuer zu eröffnen. Der Kampf, bei dem viel Blut vergossen wird, dauert bis zum Abzug der Soldaten am Spätnachmittag. Die Bilanz nach sechs Tagen: sieben getötete Palästinenser, darunter zwei Kinder, sieben und zwölf Jahre alt, und 220 Verletzte.
Die Armee erhofft sich von den Posten auf dem Dach eine bessere Überwachung des Ortes. Generalstabschef Ehud Barak sagte jüngst im israelischen Rundfunk, daß gesuchte Palästinenser so leichter aufgespürt werden könnten. Statt dessen eskaliert die Gewalt. Am Sonntag morgen eröffneten maskierte Männer das Feuer auf eine Militärpatrouille, die am Eingang zur Baherstraße einen Kontrollposten errichten wollte. Ein Soldat wurde getroffen. Seine Kollegen, von Panik ergriffen, schossen wild um sich. „Es kam Verstärkung, und sie haben in alle Richtungen geschossen. Zwei palästinensische Passanten wurden getötet. Einer wurde richtig niedergemäht, als er gerade den Schlüssel in das Schloß seiner Ladentür stecken wollte“, berichtet ein Augenzeuge. Einschüsse und leere Patronenhülsen auf der Straße zeugen von dem Vorfall. Elf Menschen erlitten zum Teil schwere Verletzungen.
Auf den Dächern richten die Soldaten ihre Gewehre auf die Passanten unten. Als ein AFP- Journalist gerade mit Kindern sprechen will, die sich auf die Treppe eines Hauses gesetzt haben, schlagen wenige Meter entfernt Kugeln ein. „Das ist Krieg. Um sich in dieser Straße zu bewegen, braucht man eine kugelsichere Weste und einen Helm“, sagt ein Rechtsanwalt, der in der Baherstraße wohnt. Kurz darauf brechen sechs Palästinenser im Kugelhagel zusammen. Das war am Wochende. Autofahrer meiden die Straße, die das Flüchtlingslager und die Stadt mit dem einzigen Krankenhaus verbindet. Eine israelische Patrouille kontrolliert alle Durchfahrenden. Die Geschäfte sind geschlossen. Vor einer Bank stehen zwei Kunden. „Wir machen nicht auf. Wir haben zuviel Angst“, schreit eine Angestellte von drinnen. Sakher Abou El-Oun
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen